Farben

Das Gedankenexperiment kurz vorgestellt (ausführlich natürlich in der klassischen Darstellung von Frank Jackson, “Epiphenomenal Qualia”, Philosophical Quarterly 32 (1982), 127–136): Mary ist eine geniale junge Frau, die aber zeitlebens eine Kaspar-Hauser-Existenz geführt hat: Sie hat in Isolation und Halblicht alles über Farbenphysiologie gelernt, was ein Mensch lernen kann. Irgendwann kann sie aber rauskommen und die Farben im Tageslicht sehen. Hat sie etwas Neues erfahren/gelernt? Wenn ja, so diejenigen, die das Gedankenexperiment als eine Bestätigung des Dualismus verstehen, dann sind Marys Empfindungen nicht restlos auf die Physiologie reduzierbar. Denn sie wusste ja laut Annahme bereits alles, was die Physiologie über die Farben lehrt, so dass sie eigentlich nichts Neues hätte erfahren/lernen sollen, wenn alles, was wir erfahren, physiologisch erklärbar wäre.

Kein Themawechsel: Gestern Mittag konnte man am Moosburger Münster Einiges über Farben lernen; vor allem etwas über die Farben Weiß und Rot:

Farben

Was ist nun, wenn Mary bei ihrer Freilassung zwar etwas über die Farben dazulernt, das aber von der Art der Sache ist, die man heute Mittag am Moosburger Münster über Weiß und Rot lernen konnte? Eher so etwas also wie die Assoziation: “Weiß steht für Keuschheit, Rot für Sexappeal”? Spricht das Gedankenexperiment immer noch für den Dualismus?

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Eine Bouillabaisse und einen Blanc de Blancs, bitte…

Von miteinander nicht in Beziehung stehenden Lesern meiner Doktorarbeit musste ich gelegentlich hören, dass die schönste Passage derselben im Vorwort steht. Es handle sich um meinen Hinweis darauf, dass die wichtigen Diskussionen über Schwierigkeiten in meinem Studentenleben in den 90ern “bei einer Fischsuppe an der Donau oder an der Nordeuböischen Bucht” geführt wurden.

Das ist gewiss kein großes Lob für meine Analyse von Kants Schematismusbegriff, den ich in der besagten Arbeit behandle. Aber immerhin ein Lob…

Immer wieder wird mir klar, dass den eigentlichen Segen über solche Gespräche im Wesentlichen nicht die Donau oder die Nordeuböische Bucht, sondern die Fischsuppe spendete. Und der Wein.

Zwar habe ich nichts dagegen, wenn beim Trinken die Wellen, die – so die falsche Legende – Aristoteles’ Grab wurden, an meinen Füßen hin- und herrauschen, aber selbst in München habe ich mein Eck für eine ordentliche Bouillabaisse mit alkoholischer Ergänzung:

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Das Gespräch heute dort? Diesmal war es ein Selbstgespräch.

Ich könnte jemand anders sein und manchmal denke ich, ich wäre es sogar…

Aus der heutigen GAP-Sondermail betreffs GAP-Essaypreis:

Die Gesellschaft für Analytische Philosophie e.V. und die Grazer Philosophischen Studien vergeben jährlich an Studierende den ESSAYPREIS.

Die Preisfrage 2013 lautet:

Kann ich mir vorstellen, eine andere Person zu sein?

usw. mit den Bestimmungen der Preisausschreibung.

Eine schnelle Antwort ist: ja, seit 1999:

Ein philosophischerer Ansatz wäre, statt gleich eine Antwort zu wagen, erst zu fragen, ob ich jemand anders sein könnte. Wenn ja, dann kann ich es mir auch vorstellen. Wenn nicht, dann nicht.

Eine Unterscheidung zwischen logischer und metaphysischer Möglichkeit zu treffen, erscheint hier allerdings nötig.

Willard

Heute wäre er 105 geworden:

http://www.science.uva.nl/~seop/entries/quine/

Um den Papst des Naturalismus, des Antipropositionalismus, des Disquotationalismus usw. zu ehren, verweise ich hier auf die von seinem Sohn betriebene Webseite mit allen Reisezielen der zahlreichen Reisen des Meisters einschließlich der Länder, die er seitlich vom Flugzeug gesehen hat, ohne sie richtig zu überfliegen 🙂

http://www.wvquine.org/wvq-lecture-travel.html

Ich habe hier festgestellt, dass der einzige Kongress, in dem ich mit ihm zusammenfiel, bereits 23 Jahre zurückliegt. Repubblica di San Marino; tolle Abende; lockere Atmosphäre. Das Leben konnte beginnen.

Ich glaube, dass ich mehr von Davidson und Stroud beeindruckt war. Umberto Ecos Versuche in der philosophischen Semantik waren eine sehr angenehme Überraschung (Wann aber? Im Vortrag? Am Abendtisch? Ich weiß es nicht mehr. Alles weg!)

Es gibt was noch: Das Buffet am ersten Abend war unschlagbar – das weiß ich noch ganz genau.

Ich bin froh, wenn der Quine-Kult vorbei ist. Sein Sohn darf ihn ruhig weiter als die Inkarnation des disquotierten Verums betrachten. Der Rest könnte sich langsam beruhigen.

Erbsen mit Honig

In der letzten Zeit habe ich eine Freude – oder sagen wir besser: ein Interesse – daran, meine moralische Vorprägung zu hinterfragen. Mir wurde von klein auf eine Ethik aufgedrängt, die darin bestand, Regeln zu befolgen, ohne die Konsequenzen aus der Regelnbefolgung zu beachten. Die Regeln waren zwar jeweils anders legitimiert, mal durch die Reformpädagogik der Schule, zu der mich meine Eltern schickten, mal durch manische Kant-Lektüre. Viel weniger manisch habe ich als Student etwas Reformtheologie gelesen (siehe meinen Eintrag mit dem Titel “Glaubenskrise”: https://philori.wordpress.com/2013/05/21/glaubenskrise/) und diese hat mein Vertrauen in die blinde Regelnbefolgung erschüttert, aber gleichzeitig habe ich späten Wittgenstein gelesen, und dieser hat mich wiederum in der Regelnbefolgung bestärkt. Schlimm! Es war wie Wein und Kaffee gleichzeitig trinken.

Die Interessen und die Freuden meiner Kinder sind ganz anders. In der Erbsenzeit mögen sie es z.B., frische Schoten zu öffnen und den rohen Inhalt zu essen.

Beide Interessen haben aber etwas gemeinsam: Sie erschüttern mein Vertrauen in die blinde Regelnbefolgung. Denn einerseits finde ich immer mehr, dass die Regelnbefolgung, ohne die Konsequenzen zu beachten, eindimensional ist, andererseits machte mich – Erbsenzeit! – folgender englischer Kinderreim darauf aufmerksam, dass die moralische Beachtung von Konsequenzen mehrdimensional ist. Man muss als Konsequentialist mehrere Nutzen auswiegen und bewerten:

I eat my peas with honey

I’ve done it all my life

It makes the peas taste funny

But it keeps them on my knife.

Hier geht es um den Nutzen, den man vom puren Erbsengeschmack hätte, gegen den Nutzen aus der Klebrigkeit. Was von Beidem besser ist, muss man selber herausfinden. Bei der blinden Regelnbefolgung macht man’s sich leichter.

Wenn die Reflektiertheit für den moralischen Wert einer Entscheidung spricht, dann ist die moralische Kosten-Nutzen-Analyse der bessere Ansatz. Wie erstaunlich für jemanden mit meiner moralischen Vorprägung…

Meine Kinder lieben groteske Reime. Ich auch.

Enskat und Wiebicke über den WDR-Wetterbericht

Wann ist wahre Meinung begründete wahre Meinung? Und zwar gerade wenn es sich bei dieser Meinung um eine Prognose handelt?

Enskat und Wiebicke diskutierten gestern im Philosophischen Radio von WDR5 darüber sowie über andere erkenntnistheoretische Themen. Diese und andere Diskussionen zwischen Jürgen Wiebicke und seinen Gästen sind auch als Podcasts abrufbar:

http://www.wdr5.de/nachhoeren/das-philosophische-radio.html

Die Zeit Nr. 25

Morgen ist zwar bereits die Nr. 26 am Kiosk, aber ich wollte nicht die Gelegenheit verpassen, eine Woche nach dem Erscheinen der Philosophie-Beilage in der Zeit Nr. 25 ein paar Zahlen zu nennen.

Zeit 25 2013

Die Autoren der Einzelbeiträge über Gerechtigkeit, Freiheit, Liebe, Lüge, Toleranz usw. haben folgende Verpflichtungen im Sinn einer fachlichen Tradition:

10 sind Kontinentalphilosophen

3 sind eindeutig analytische Philosophen (Martha Nussbaum, Julian Nida-Rümelin und Michael Sandel)

2 sind in der Nähe der analytischen Philosophie aber im Wesentlichen “bündnisfrei” (aber man könnte Manfred Frank als Überläufer in die analytische Philosophie betrachten – in diesem Fall sollten die Zahlen entsprechend korrigiert werden).

3 sind Soziologen

Einer ist Psychoanalytiker.

Angesichts der Tatsache, dass die analytische Philosophie heute auch in Deutschland den Mainstream bildet – jedenfalls keine minoritäre Richtung – finde ich diese Zahlen sehr charakteristisch. Sie entsprechen keiner zufälligen Präferenz der Zeitung, meine ich. Vielmehr spiegeln sie die Tendenz der meisten analytischen Philosophen wider, sich Alltagsthemen zu verschließen. Dabei möchte ich mich selber davon gar nicht freisprechen. Heute schrieb ich z.B. an einem Text über die Möglichkeit der Existenz körperloser selbstbewusster Wesen. Ich meine, ich verneine ihre Existenz aber trotzdem…

Klar haben die meisten Kontinentalphilosophen zu Themen wie Liebe, Menschenwürde usw. viel mehr zu sagen. Sie wollen jedenfalls viel mehr sagen.

Akten

Die GAP.8-Akten sind heraus! Das pdf-Dokument können interessierte LeserInnen hier finden:

http://duepublico.uni-duisburg-essen.de/servlets/DocumentServlet?id=31200

Meinen Beitrag findet Ihr auf S. 405-411 (seitenmäßig recht dünn also – argumentationsmäßig hoffentlich nicht). Er hat mit Richard Swinburnes Bayesschem Argument für die Existenz Gottes zu tun. Und mit Blaise Pascal.

Meine Pointe ganz kurz gesagt: An Gott zu glauben, ist rational für alle, die sowieso fasten, oder tugendhaftes Leben dem Laster sowieso vorziehen, oder an Gott glauben wollen. Für den Rest bin ich mir nicht sicher…

Wer unter meinen Lesern in diesem Blog ein spektakuläreres Resultat erwartet hat, hat mich überschätzt.

Immer fehlt jemand

Mit der Begründung, man könne vielleicht feststellen, was wo existiert, aber nie, was wo fehlt (denn wie lässt sich Nichtsein feststellen?), wurde die Privation, der Mangel an etwas, aus dem Wissenschaftsvokabular in der Neuzeit verbannt.

Das ist unvernünftig, meine ich. Denn Privation lässt sich ohne Schwierigkeiten in einem Fragment der n-wertigen Prädikatenlogik erster Stufe von Łukasiewicz formalisieren (vgl. meinen Entwurf in: Beziau/Jacquette, Around and beyond the Square of Opposition, Basel: Birkhäuser, 2012, 229-239). Aber vor allem habe ich immer besser gewusst, was mir fehlt, als was ich habe.

Das Wetter kann nochmal so sonnig, die Kinder nochmal so glücklich und die Ehefrau nochmal so unbesorgt sein: Übers Wochenende fehlen mir meine Studenten. Es gibt da Abstufungen – also mehrere Privationsstärken. Meine Studenten würden mir anders fehlen, wenn ich vor Ort in Erfurt wohnen würde, wo ich die Hoffnung hätte, ihnen zufällig über den Weg zu laufen, anders, wenn ich in Weimar wohnen würde, wo ich immerhin die Hoffnung hätte, ihren Weimarer Freunden über den Weg zu laufen, und anders in der Münchener Peripherie, wo das Durchschnittsalter – gefühlt jedenfalls – 60 ist. Anders fehlen sie mir jetzt, wenn ich weiß, dass nur ein paar Stunden bis zum nächsten Seminar sind, und anders im Juli…

Im Juli wiederum fehle ich wenigstens hier nicht:

Bild

Im Moment aber schon. Ich frage mich, wie es mein Strand ohne mich, ohne meine Fischernetze, ohne mein Tauchen aushält. Gerade an solchen Wochenenden wie das jetzige.