Drei Münchener Gotteshäuser habe ich heute fotografiert: die Synagoge, bei der ein Kinderfest stattfand, den Alten Peter auf dem Weg zur U-Bahn, schließlich die griechisch-orthodoxe Allerheiligenkirche, in deren Nähe ich immer einen Parkplatz finde.
Nicht nur ist jedes dieser Gotteshäuser repräsentativ für die jeweilige Kultur und Religionsgemeinschaft, sondern heute war auch der Himmel darüber jeweils alttestamentlich, der Lüftlmalerei zuzuordnen oder wie einem maritimen Gemälde von Konstantinos Parthenis entnommen.
Oscar Wilde kehrte auf seine charakteristische Art eine These von Aristoteles um, als er meinte, die Natur ahme die Kunst nach. Cum grano salis ergibt der Spruch Sinn auch außerhalb von Wildes typischer Spitzfindigkeit. Denn es gibt Fälle, in denen die Natur nur deshalb wahrgenommen wird, weil sie mit Kulturellem assoziiert wird.
I spent the whole day in downtown Munich today and made some pictures of three places of worship: of the synagogue (the St. Jakob’s Square is a great place for children to play), of the “Old Peter” (in fact Munich is what evolved around this church), finally of the Greek-Orthodox All Saints’ church, where I always find a place to park the car.
Each of these buildings is very representative of the culture and religious community in question. The distinctive thing today was that the sky was also representative of the three cultures: biblical over the synagogue, akin to Bavarian folk art over the “Old Peter”, and as if it were taken out of one of Constantine Parthenis’s maritime paintings over the All Saints’ church.
To put it in Oscard Wilde’s words: “Nature imitates art”.
Inverting the terms of a common place was very characteristic of Oscar Wilde and this is how Wilde modified the Aristotelian dictum: “Art imitates nature”. If you consider that there are cases in which we perceive nature only because we associate it with culture, you will probably understand why Wilde’s version makes perfectly sense to me.
Der Grundsatz “one man one vote” spiegelt einen Gleichheitsgedanken wider. In seiner Dissertation on the First Principles of Government (1795) dachte Thomas Paine, dass er ohne Ausnahmen gelten sollte.
In jener revolutionären Zeit erhoffte Kant (Kritik der reinen Vernunft A 752/B 780) von diesem Grundsatz selbst die Entscheidung von philosophischen Fragen:
[Die menschliche Vernunft erkennt] keinen anderen Richter […] als selbst wiederum die allgemeine Menschenvernunft, worin ein jeder seine Stimme hat.
Wenn dieser Grundsatz richtig ist – also moralisch und politisch richtig meine ich – dann bangt Giovanni di Lorenzo, Chefredakteur der Zeit und (Doppel-) Wähler sowohl für die deutsche als auch für die italienische Vertretung im Europaparlament, zu Recht um seine Verteidigung im gegen ihn eingeleiteten Strafverfahren wegen Wahlfälschung.
Aber Moment! Wenn binneneuropäische Zweistaatler laut § 6 Abs. 4 EuWG nach eigenem Ermessen auf eines von zwei aktiven Wahlrechten, die sie besitzen, verzichten müssen, dann entsteht ein Ungleichgewicht zwischen Rechten und Pflichten dieser Bürger. Von ihren Pflichten gegenüber demjenigen Staat, für dessen Europaparlament-Vertretung die Zweistaatler nicht wählen, können sich nämlich diese nicht selektiv befreien. Ich erinnere dabei an die griffige Feststellung Hegels aus der Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften, § 486:
Aber wesentlich gilt es, dass wer keine Rechte hat, keine Pflichten hat, und umgekehrt.
Das Gegenargument, die Zweistaatler besäßen zwei aktive Wahlrechte, selbst wenn sie das eine nicht ausüben, kann man, denke ich, nicht gelten lassen. Besäßen nämlich Zweistaatler zwei aktive Wahlrechte unbeschadet der Bestimmungen von § 6 Abs. 4 EuWG (“One man one vote”), dann würde aus:
1. “Di Lorenzo hat das Recht, für die italienischen Europaabgeordneten abzustimmen”
und
2. “Di Lorenzo hat das Recht, für die deutschen Europaabgeordneten abzustimmen”
folgen:
3. “Di Lorenzo hat das Recht, für die italienischen UND die deutschen Europaabgeordneten abzustimmen”
Das ist jedoch eindeutig nicht der Fall.
Als Philosoph würde ich di Lorenzo raten, folgendermaßen zu argumentieren: “Wenn meine Pflichten als deutscher Bürger weniger werden, kann ich mir eine Selbstbeschneidung eines meiner aktiven Rechte vorstellen”. Damit führt er die Argumentation der Anklage ad absurdum.
Der Haken dabei: Sein Richter wird nicht Kants “allgemeine Menschenvernunft” sein.
The principle “one man one vote” has been historically a slogan for equality. In his Dissertation on the First Principles of Government (1795) Thomas Paine thought that it should be valid without exception. Undoubtedly, the late 18th century was a revolutionary time in which Kant (Critique of Pure Reason A 752/B 780) hoped that this principle should decide philosophical questions:
Human reason […] recognizes no other judge than universal human reason itself, in which everyone has his own voice.
If this principle is correct – I mean morally and politically correct – then Giovanni di Lorenzo, editor-in-chief of the German weekly Die Zeit and voter (twice!) for the German as well for the Italian representatives in the European Parliament, has every reason in the world to be concerned about the criminal proceedings against him for fraudulent voting.
But wait a moment! If according to § 6 Nr. 4 of the European Elections Act of the Federal Republic of Germany European double citizens must suspend one of their rights to vote at their own discretion, the equilibrium of the rights of these citizens to their duties is infringed, since, obviously, they cannot free themselves selectively from a duty like they can from their right. I remind the reader Hegel’s brief statement in the Encyclopedia of Philosophical Sciences, § 486:
In essence, it is valid that those who have no rights have no duties and vice versa.
The counter-argument that double citizens do possess the right to vote in both countries even if they do not vote in one of the two is in my mind not sound. If the right of double citizens to vote in two countries would remain irrespectively of EEA § 6 Nr. 4 (“One man one vote”), then from the two propositions:
1. “Di Lorenzo has the right to vote for the Italian members of the European Parliament”
and
2. “Di Lorenzo has the right to vote for the German members of the European Parliament”
a third would follow:
3. “Di Lorenzo has the right to vote for the Italian AND the German members of the European Parliament”
which is definitely not the case!
As a philosopher I would recommend di Lorenzo to argue that he would suspend his own right to vote as a German citizen if he would be free to choose a duty which he wouldn’t have to fulfil. This would lead the argumentation of the prosecution ad absurdum.
The problem with this tactic of defence, of course, is that his judge will not be Kant’s “universal human reason”.
Am besten beginne ich mit den Fakten: In einer Fernsehsendung des 22. April zu Heideggers nazilastigen “Schwarzen Heften”(Überlegungen II-VI; VII-XI; XII-XV, hg. v. P. Trawny, Gesamtausgabe Bde 34-36, Vittorio Klostermann, Frankfurt/M. 2014), den Reflexionen Heideggers zu Kulturkritik und Politik aus den Jahren 1931-1941, wies Elke Heidenreich dem Philosophen folgende Formulierung zu: “Die verborgene Deutschheit müssen wir entbergen, und das tun wir, indem wir die Juden endlich beseitigen aus Deutschland.” Stefan Zweifel, der Moderator der Sendung, erhob berechtigten Zweifel an der Authentizität des Zitats und verlor vor Kurzem seinen Job.
Heidenreich, die Heideggers Buch nicht gelesen hatte, führte eine Buchbesprechung der “Schwarzen Hefte” in der Süddeutschen Zeitung vom 25. März als ihre indirekte Quelle an. Der Teil des Zitats, der die Juden betrifft, steht allerdings weder in Heideggers “Schwarzen Heften” noch in der Süddeutschen.
Tatsächlich liest Heidenreich diesen Teil in der Sendung nicht vom Blatt – sie interpretiert offensichtlich frei. Aber selbst plausible Interpretationen können nicht ohne ein Argument gelten gelassen werden.
In ihrem Kinderbuch Nero Corleone kehrt zurück lässt Heidenreich ihren Helden, den italienischen schwarzen Kater Nero, auf den Tasten des Klaviers von Mauricio Kagel laufen, woraufhin der Komponist aufsteht und begeistert ruft: “Schönberg! Schönberg!”
In meiner Bonner Zeit mochte ich die Kagel-Konzerte in der Kölner Philharmonie. Eines Abends – ich versuchte mein Lachen zu unterdrücken – hatte Kagel das Orchester zusehen lassen, wie er sich selbst beim Pfeifen dirigierte. Ein Mensch mit Kagels Humor hätte sicher den Spaziergang eines Katers auf seinem Klavier mit Schönbergs Musik vergleichen können. Ob die Episode stimmt oder nicht, ist eher nebensächlich. Sie entspricht dem, was man von Mauricio Kagel erwartete und in einer literarischen Fiktion gilt sie sogar als ein getreues Bild .
Genauso entspricht der Zusatz “…indem wir die Juden endlich beseitigen aus Deutschland” dem, was man von Heidegger erwartet. Allerdings entspricht es auch wissenschaftlicher Gewissenhaftigkeit zu erwähnen, welche unserer Erwartungen schwarz auf weiß stehen und welche Interpretationen sind – anders als in einer literarischen Fiktion.
Let me begin with the brute facts: on April 22, in a TV show where Heidegger’s “Black Notebooks” (Überlegungen II-VI; VII-XI; XII-XV, ed. by P. Trawny, Gesamtausgabe Vols 34-36, Vittorio Klostermann, Frankfurt/M. 2014) were discussed, i.e. Heidegger’s critical reflections on civilization and politics between the years 1931 and 1941, Elke Heidenreich foisted the philosopher the demand to “dis-cover the hidden essence of the Germanic being by removing at last the Jews from Germany”. Stefan Zweifel, the host of the show, had justified doubts on the authenticity of the quote – to lose his job quite recently…
Heidenreich who hadn’t read Heidegger’s book, named a book review of the “Black Notebooks” in the Munich daily Süddeutsche Zeitung on March 25 as her indirect source. However, the part of the quote about the Jews is absent in the “Black Notebooks” as well as in the book review.
In fact, in the show Heidenreich didn’t read this part of the quote from the paper. Obviously, she interpreted freely. But even plausible interpretations don’t go without an argument.
In a book for children titled Nero Corleone strikes back, Heidenreich describes how her hero, the Italian tomcat Nero, steps on the keys of Mauricio Kagel’s piano to impress the composer who rejoices: “Schoenberg! Schoenberg!”
While still a PhD-student in Bonn I liked Kagel’s concerts in the Cologne Philharmonic Hall. One evening – I was struggling to keep myself from laughing – the orchestra sat there staring how Kagel directed himself whistling. A man with Kagel’s sense of humour is expected to compare a tomcat’s walk on the keys of his piano with Schoenberg’s music. I don’t know whether this is a true story or not. It corresponds to what we expect Kagel to do. In a literary fiction it can count as true.
Some of my readers may have expected Heidegger to add “…by at last removing the Jews from Germany”. Unlike a work of fiction however, literary criticism demands a clear-cut distinction between what is explicit in a text and what we interpret into it.
Der sommerliche Stausee gab mir ein Argument gegen die gewöhnliche Lesart des Gemeinplatzes an die Hand, demnach ein Bild mehr als tausend Wörter sagt. Um es vorweg zu sagen, glaube ich, dass der Gemeinplatz wahr ist. Aber ich glaube gleichzeitig, dass Bilder uns nicht klüger machen, gerade weil sie mehr als tausend Wörter sagen.
Das Bild unten vermittelt Information. Viel Information! “Mehr als tausend Wörter”! Aber es deutet von allein nicht darauf hin, welche Fragmente dieser Information nützlich und welche nebensächlich sind.
Die Betrachtung des Bildes allein macht uns also trotz der inflationären Information kaum informierter. Denn auf was soll der Betrachter fokussieren? Auf das, was im Vordergrund steht? Das sind ja nur Mücken, die nicht richtig zu erkennen sind.
Auf das, was im Hintergrund steht? Das ist zu weit entfernt!
Auf alles? Aber das eine hat mit dem anderen nichts zu tun. Unzusammenhängende Information führt einen dazu, die Informationsquelle zu verwerfen.
Bilder sagen mehr als tausend Wörter – das stimmt! Dafür sind diese Wörter ein Durcheinander.
Die Information aus interpretierten Bildern ist dagegen geordnet. Dafür sagt sie viel weniger als tausend Wörter.
The early-summer atmosphere at the lake gave me an argument against the usual reading of the proverb “A picture is worth a thousand words”. I think that the proverb is true. However, I also think that pictures make us no more informed exactly because they are worth so many words.
The picture above gives you information. Much information. “A thousand words”! But it does not contain a piece of information to make you know which parts of this information are supposed to be essential and which are supposed to be suppressed.
Observing the picture makes us, thus, not more informed despite the inflatory information. Do you focus on the foreground? On rather blurred mosquitoes?
Do you focus on the background? On a landscape which is only too distant?
On everything? What do these elements have to do with each other? Confusing information would rather make us reject the source altogether.
Pictures say a thousand words – that’s true. But these words are a mess.
The information which we get from interpreted pictures is ordered, of course. But it is worth much less than a thousand words.
Vor genau einem Jahr startete ich dieses Blog mit der Absicht, philosophische Kommentare zum Alltag zu schreiben – und gelegentlich Exkurse zur Religionswissenschaft. Ich wollte von Anfang an keine Berichte über aktuelle Taten von Philosophen schreiben. Oft ist nämlich der Alltag der Philosophen nicht der Rede wert, was man an Brian Leiters Blog leicht erkennen kann. Gelegentlich lese ich es zwar, aber ich finde, dass mindestens zwei Themen, über die Leiter schreibt, äußerst unphilosophisch sind. Erstens widmet er sich zu oft frivolen Eskapaden männlicher Philosophieprofessoren. Zweitens vermittelt er mit seinen Rankings englischsprachiger philosophischer Departments (“Philosophical gourmet“) den Eindruck, dass das Output eines Fachbereichs Philosophie genauso leicht zu evaluieren ist wie die Leistungen eines Fußballteams. Mittlerweile gibt es ein neues Ranking, das nicht-englischsprachige Universitäten mit einbezieht, damit der Durchschnittsfan von F.C. Bayern, Inter Mailand oder Real Madrid bei der Unisuche sich in der Meinung bestätigt, alles in der Welt drehe sich um den Fußball – oder funktioniere jedenfalls ungefähr so.
Der Fachbereich für Philosophie an der New York University ist seit längerer Zeit Leiters Spitzendepartment. Ein berühmtes Mitglied desselben sagte mir vor ein paar Jahren, dass er sich wie ein Spieler bei Real Madrid fühlt. Man kann diese Äußerung auf zweierlei Weise interpretieren: Entweder meinte er, dass er für den besten Klub der Welt spielt, oder er meinte, dass seine Mitspieler zwar herausragende individuelle Leistungen erbringen, dass sie jedoch kein kohäsives Team ausmachen. Obwohl er sich auf das Fußballteam von Real Madrid bezog, galt, was er sagte, auch dem Basketballteam von Real Madrid, dessen Niederlage vor ein paar Stunden im Euroleague-Finale gegen Maccabi für die zweite Interpretation seiner Worte spricht.
Die Maccabis dieser Welt sind oft besser als die Reals. Nicht nur im Basketball – auch in der Philosophie. Diese Einsicht macht Leiters Verständnis der Philosophie als einer citius-altius-fortius-Disziplin unhaltbar.
When I started this blog, a year ago today, I wanted it to be a philosophical commentary of everyday life with some excursions into religious studies. However, I didn’t want it to be a report of what philosophers do. What philosophers do often does not justice to philosophy and this can be easily seen in Brian Leiter’s blog. I do occasionally read it, but I think that at least two things which Leiter does, do no justice to philosophy. The first is that he pays too much attention to gossips on various frivolous escapades of male philosophers. The second is that the “Philosophical gourmet” with the rankings of the philosophy departments of English speaking academia makes one think that the value of the work produced in a philosophy department is as easily measurable as the value of the roster of a football team. Meanwhile there is a university ranking for the non English speaking academia so that the average Bayern Munich, Inter Milan or Real Madrid fan can feel justified to think that everything in the world works like football while looking for “the best” university to study.
Leiter’s top department for years and years is the Philosophy Department at the NYU. A very celebrated member of this department told me a few years ago that he feels like playing for Real Madrid. One can understand this in two ways: either he meant that he feels like playing for the greatest club ever or he meant that he plays for a non-cohesive team which consists of excellent individuals. He was talking about Real Madrid’s soccer team but he could have been talking about the Real Madrid basket ball team, whose defeat by Maccabi in the Euroleague final a few hours ago spoke for the second interpretation of his words.
I think that the Maccabis of this world are better than the Reals quite often. Not only in basket ball. Also in philosophy. This insight makes Leiter’s citius-altius-fortius-blog much less interesting.
Es passiert nicht oft, dass die Polizei einen kurzen Austausch zum theologischen Lehramtsstudium in einer Bibliothek der Münchener Ludwigstraße bewacht.
Es war am vergangenen Freitag der Fall – nicht wegen des Lehramtsstudiums, sondern weil der Hauptteilnehmer im Austausch der Ökumenische Patriarch von Konstantinopel war.
It’s not very usual for the neighbourhood where the institutes of the Munich University are to witness policemen guarding a brief exchange on secondary teacher accreditation in the subject religion – among others.
It just happened last Friday. Not because of the issue, of course. Rather because the main participant in the exchange was the Ecumenical Patriarch of Constantinople.
Es gibt Fideisten, die behaupten, für ihren Glauben an Gott keine vernünftigen Gründe angeben zu müssen. Sie haben ihre vernünftigen Gründe dazu! Denn ein Fideist braucht zwar keine vernünftigen Gründe für seinen Glauben anzugeben aber er nennt in der Regel immerhin ein paar vernünftige Gründe für seinen Glauben daran, dass er keine vernünftigen Gründe für seinen sonstigen Glauben anzugeben braucht.
Es gibt aber auch Kulturen, die vernünftigen Gründen im allgemeinen misstrauen – so wenigstens eine verbreitete Meinung. Ist diese Meinung wahr? So scheint es auf den ersten Blick! Griechisch-orthodoxe kommen z.B., so eine ebenfalls verbreitete Meinung, traditionell ohne Gottesbeweise aus. Was sage ich da? Sie halten Gottesbeweise für des Teufels Zeug – na ja, vom Gottesbeweis des Johannes von Damaskus abgesehen…
Es war ein Mainachmittag in meinem Erfurter Appartment im Amplonius-Haus. Sonnenschein, mittelalterliches Ambiente, Frühlingsmüdigkeit, ein historischer Anthropologe, ein Historiker und ich, über Kaffeetassen und DIN-A4-Blättern gebückt, versuchten einem dicken gemeinsamen Aufsatz eine endgültige Form zu verleihen, als Dittmar, der historische Anthropologe zu mir meinte:
Du kannst nicht von der Verwendung von Gottesbeweisen in verschiedenen Kulturen in einem Aufsatz über Kulturanthropologie schreiben, mein Lieber! Denn, wenn die Logik so etwas ist, wie du behauptest, dann ist sie eine natürliche Kapazität wie das mathematische Denken. Und die Verwendung von ähnlichen natürlichen Kapazitäten ist in verschiedenen Kulturen ungefähr gleich, sobald sie sich entwickelt haben. Es gibt keine russische und keine deutsche Mathematik und deshalb wird es auch keine griechischen und keine lateinischen Gottesbeweise geben.
In einer Weise gibt Dittmars Schilderung tatsächlich das wieder, was ich über Logik denke. Tatsächlich sind Gottesbeweise im griechischen, arabischen und lateinischen Sprachraum des Mittelalters bekannt, so wie es den Satz des Pythagoras in verschiedenen Kulturkreisen gab. Aber dann, warum sind Gottesbeweise nur im früher lateinischen Sprachraum verbreiteter, ausgeklügelter, wichtiger?
Um es allgemeiner auszudrücken: Warum lebt derjenige, der vernünftige Gründe zum Glauben braucht, mit größerer Wahrscheinlichkeit westlich der Adria?
There are fideists who maintain that they don’t need to justify their believing in God. Of course, they have their reasons to think so. I mean, since they are fideists they don’t think that they have to give a rational account for what they believe, however they do occasionally give a rational account for believing that they don’t need to give a rational account for believing something else.
And there are whole cultures which mistrust rational accounts in general. At least this is a widespread opinion. Is this opinion true? So it seems! The Greek Orthodox, all of them or the mainstream, manage to believe in God without proofs for the existence of God – well, except for the proof authored by John of Damascus… In fact, they think that sophisticated proofs are a sign of disbelief.
It was a May afternoon in my appartment in downtown Erfurt. A bright sunlight, a medieval interior, drowsiness, a historical anthropologist, a historian and me, tried all together to give our common publication a final form without spilling the coffee or mixing the papers, when Dittmar, the historical anthropologist, told me:
You cannot discuss the use of proofs of the existence of God in a paper on cultural anthropology, dude! Because if logic is the thing you claim it to be, it is a natural capacity like mathematical thinking. And the use of mathematical thinking, once you develop it, is the same in every culture. There is no Russian and no German way to mathematics and this is why there’ll be no Greek and no Latin way to prove the existence of God.
In a way, what Dittmar said reflects exactly what I think about logic. Indeed, there are proofs for the existence of God in Greek, Arabic and Latin medieval sources, like the Pythagorean theorem is to be found in many cultures. But then why are proofs for the existence of God in the previously Latin part of Europe – and in what emerged out of it – more usual, more sophisticated, more important?
Generally: if those who need a rational account for what they believe in are more probably to be found from the Adriatic westwards, why is this so?
Der Eurovision Song Contest (ursprünglich ging es dabei um Songs und ihre Benotung, deshalb heißt es noch so…) lebt von Intertextualitäten und von der Sensationsjagd in denselben: Wir hatten keine hübschen nordischen Gewinner, bis ABBA kam. Aber dann hatten wir keine nordischen Heavy-Metal-Monster als Gewinner, bis diese Finnen kamen. Wir hatten keinen transsexuellen Gewinner bis dieser Israeli kam, aber wir hatten bis gestern keinen bärtigen effeminierten Gewinner. Die Entwicklung lässt sich absehen: Im nächsten Wettbewerb 2015 in Wien rechne ich mit Heavy-Metal-Transsexuellen mit biblischen Bärten.
Kriminalgeschichten leben von ebendemselben Rezept. Nachdem der Mörder mittlerweile nie der Butler ist, geht die Sensationsjagd weiter: Mal war es die anscheinend liebende Ehefrau, mal ist es doch ein Selbstmord gewesen, mal waren es alle Verdächtigen zusammen (Der Tod auf dem Nil), mal der Ich-Erzähler, mal der ermittelnde Kommissar… In der Nachschrift zum Namen der Rose meint Umberto Eco, die einzige Sensation, die in keinem Krimi bisher ausprobiert wurde, sei, dass der Mord vom Leser begangen wurde.
Ich will nicht gegen die intertextuelle Sensationsjagd an sich polemisieren, zumal die Religionsgeschichte vor derselben strotzt. Die Theologie entwickelt sich von den antiken Religionen bis zur Spätantike folgendermaßen: Anfänglich war ein Gott unter keinen Umständen Mensch (ich denke an Amun). Die nächste Sensation waren Götter, die gelegentlich Menschen, allerdings keine perfekten Menschen waren (ich denke an Zeus). Die nächste Sensation war ein Mensch, dessen Perfektion ihn Gott und unsterblich werden ließ (ich denke an Herakles). Die nächste Sensation war ein Gott, dem es zu sterben gelang – und zwar für immer (ich denke an Pan – vgl. Plutarch, De defectu oraculorum 419c). Die nächste Sensation war Jesus, menschgewordener Gott, der ein perfektes Menschenleben führte, starb und auferstand.
Ecos Befund in Bezug auf Kriminalromane gilt auch in Bezug auf die Religionsgeschichte: Es bleibt wohl kaum eine Sensation übrig, die nicht ausprobiert wurde. Die Entwicklung von Amun zu Zeus zu Herakles zu Pan zu Jesus verläuft analog zur Entwicklung von Sherlock Holmes zu Jules Maigret zu Hercule Poirot (wieder ein Herakles) bis zu diesen “Tatort”-Kommissaren, die im Mord verwickelt sind.
Das relativiert nicht das Christentum. Es zeigt nur eine Teilfacette der Wahrnehmung von Kultur und Kultphänomenen.
The Eurovision Song Contest (which is still called so because many years ago it was about songs and the points given to them) is full of intertextualities and the chase after sensation. There were no pretty Nordic winners until ABBA came. But then there were no Nordic winners who were heavy metal-monsters – until these strange guys from Finland came. There were no transsexual winners until this Israeli came but after him there was no effeminate transvestite with a beard who would win – until yesterday. I can foresee the development: next year in Vienna we’ll see heavy-metal transsexuals with scriptural beards.
Detective stories have the same tendency. Since it’s silly to suspect the butler as a criminal, the chase after sensational answers to the question “Who’s done it?” has produced stories in which the loving wife is the murderer, others in which it was suicide after all, at least one in which exactly all the suspects have done it (Death on the Nile) and a couple of stories in which the I-narrator of the detective story or the detective himself turn out to be the bad guy. In his Postscript to the Name of the Rose, Umberto Eco stated that the only sensation which has never appeared in any detective story is that the murder was committed by the reader.
But since intertextualities and the chase after sensation are also characteristic of the history of religions it would be unfair of me to criticize pop culture for it. From the very ancient religions until late antiquity, there is an ongoing development of theologies along this path. Initially, a god was never human (think of Amun). The next sensation was a god who became human without human perfection (think of Zeus). The next sensation was someone who had the human perfection which was required to become an immortal god (think of Hercules). The next sensation was a god who managed to go beyond immortality – who died once and for all (think of Pan – cf. Plutarchus, De defectu oraculorum 419c). The next sensation was Jesus, God in human flesh, who lived a perfect life, died and rose from the dead.
Eco’s diagnosis concerning the who’s-done-it sensation in detective stories is analogous to sensation in the history of religions: it’s difficult to find something sensational which has not appeared yet. The development from Amun to Zeus to Hercules to Pan to Jesus is one to further sensations – like the development from Sherlock Holmes to Jules Maigret to Hercule Poirot (another Hercules) to the detectives of the German TV-series “Tatort” who are sometimes involved in the crimes they investigate.
This is not to relativize Christendom. But it shows, I think, how culture and cult are perceived.
Mit gültigen Argumenten erhöhen sich die Chancen, den Zuhörer zu gewinnen. Und da die Gültigkeit eines Arguments an der Befolgung formaler Regeln erkennbar ist, sind formale Regeln wichtig für die Überzeugungsarbeit. Wenn ich fünfzig Millionen Leser gehabt hätte, dann wäre ich ein erfolgreicher Blogger gewesen. Aber daraus folgt nicht, dass ich kein erfolgreicher Blogger bin, wenn ich keine fünfzig Millionen Leser habe. Es ist ein formaler Fehler, aus einer wahren Implikation diejenige Implikation abzuleiten, in der Antecedens und Consequens der ursprünglichen Implikation verneint sind. Formale Fehler rächen sich durch falsche Schlussfolgerungen. Ich kann mit viel weniger Lesern als fünfzig Millionen ein sehr erfolgreicher Blogger sein.
Wenn die formalen Voraussetzungen der Überzeugungsarbeit seit der aristotelischen Syllogistik begründet sind, gilt für die nicht minder wichtigen, informellen Voraussetzungen der Überzeugungsarbeit nicht dasselbe.
Die Bestätigung mit Bezug auf Autoritäten klingt oft wenig überzeugend: Fünfzig Millionen Leser machen einen zu einem erfolgreichen Blogger, aber sein Blog ist dadurch kein Bisschen besser. Ad hoc-Annahmen gelten als gemogelt. Ich darf keine unbestätigte Annahme einführen, nur um meine These gegen Kritik zu untermauern. Unterschwellig vorauszusetzen, was ich beweisen will, ist ebenfalls eine Mogeltaktik beim Argumentieren. Und ganz sicher ist es faul, meine Behauptung, kein Schotte würde Bourbon trinken, gegen ein Gegenbeispiel (“Angus McCoy trinkt Bourbon”) mit dem Gegenargument zu verteidigen, kein echter Schotte würde Bourbon trinken. McCoy wäre somit kein echter Schotte. Aber Gegenbeispiele darf man nicht durch eine Umdefinition diskreditieren.
Wissen, dass etwas gemogelt ist, ist eine Sache; begründen eine andere. Da es für unsere Ablehnung gegen confirmationes ad auctoritates, ad hoc-Argumente, petitio-Argumente, “kein echter Schotte”-Argumente keine formale Begründung gibt, kann es sein, dass solche Spielzüge andernorts nicht als Mogelspielzüge gelten. Man kann, meine ich, mit gutem Recht meinen, dass die informelle Logik im Gegensatz zur formalen Logik kulturell oder subkulturell bedingt ist.
Es gab diese Lehrerin, die mich für ein Projekt gewinnen wollte: nach antiken Rezepten kochen und zwar mit dem Urtext. Es klingt zwar interessant, aber mir schwebt etwas anderes vor: eine Lehreinheit Elvis. Musik-, Englisch- und Ethiklehrer gehen gemeinsam in die zehnte Klasse und erklären schräge Noten, schräge Sprache und schräge Logik. Alle drei schätze ich viel mehr, als meine Leser denken. Ob die Lehrer mitspielen, ist eine andere Frage. Einen Versuch ist’s wert.
There was this teacher who wanted to conduct a project with me: cooking with her students using recipes from the classical antiquity in the original languages. I didn’t say no but I don’t think that it’s the real McCoy. I have a counter-proposal: an English teacher, a music teacher and a philosophy teacher introduce 10-graders into cool sounding language, strangely sounding accords and unsound reasoning all inclusive with Elvis.
Sound reasoning is what we normally want to perform in order to persuade. Since validity, an important constraint of soundness, is dependent on formal rules, following formal rules increases your persuasiveness; formal rules like the following: If I had fifty million readers I would be a successful blogger. But this does not imply that I’m not a successful blogger if I don’t have fifty milliion readers. From an implication you cannot deduce another implication by just negating the antecedent and the consequent of the original implication. Formal mistakes revenge with errors: I can be a successful blogger with much less readers than fifty millions.
Formal logic is founded since Aristotle’s syllogistic. But informal logic is not. The moves which informal logic suggests are not formally justified.
Appeal to authority is eventually an incorrect move: Fifty million readers make you a successful blogger but they don’t make your blog better. Ad hoc-arguments based on assumptions which are introduced without evidence just in order to save the theory are fallacious. Begging the question is cheating. And of course it is a foul to defend your claim that Scots never drink bourbon against a counter-example (“Angus McCoy does drink bourbon”) by saying that no true Scotsman would drink bourbon. This move redefines Scotsmen as people who don’t drink bourbon in order to discredit McCoy’s counter-example.
But since appeal to authority, ad hocness, begging the question and no-true-Scotsman arguments cannot be formally refuted, it’s possible that there are cultures and subcultures in which they are not regarded as fallacies. Elvis fans could be one of the subcultures in question. Normally, we don’t speak of “cultures” in this context – rather of “communicative ethos”. I’m wondering why…
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