Electronic Texts: Scotus and Ockham

In medias PHIL

If it’s as cold where you are as it is here in Boulder, then you’re probably huddled in front of a glowing computer screen, warming your innards in the gentle light of medieval texts. So this seems like a good time to mention a few electronic resources that may have escaped your notice.

What has surely has not escaped your notice is the long-standing and superb Corpus Thomisticum edited by Enrique Alarcón. In addition to the searchable Latin texts, there’s a very helpful guide to the best published edition of each work, as well as Schütz‘s old but still very useful Thomas-Lexicon, a frequently updated Thomistic bibliography, links to pdfs of many of the Leonine editions, and more.

The point of this post, however, is to spread the word that the work of Scotus and Ockham is also now available electronically, in searchable form. I know of two sources…

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Of zeros and nows

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Marta, meine Ältere, fragte mich heute, ob Jesus im Jahr 0 zur Welt kam. Kommt es nun darauf an, zwischen wahr und falsch zu unterscheiden, dann ist “nein” wohl eine angemessene Antwort. Allerdings sind Fragesteller, Kinder oder Erwachsene, in der Regel nicht daran interessiert, irgendwas Wahres von irgendwas Falschem zu unterscheiden, sondern sie wollen bestimmte Zwecke erfüllen. Antworten, die über diese pragmatische Komponente des Fragestellens hinwegsehen, laufen Gefahr, nutzlos oder zu detailliert zu sein.

“Jesus wurde im Jahr 6 vor unserer Zeitrechnung geboren und es gibt kein Jahr 0” klingt wiederum angemessen, zieht allerdings eine Vielzahl an weiteren Fragen nach sich. Gut, Kinder können verstehen, dass ein Geschichtsschreiber des Mittelalters sich um 6 Jahre irrte, als er die Geburt Christi datieren wollte.

Aber warum gibt es kein Jahr 0? Nun, eine Antwort könnte sein, dass es zweckmäßig ist, die Weihnachten des Jahres 1 nach Christus genau ein Jahr und nicht zwei Jahre nach Christi Geburt festzulegen. Ebenfalls zweckmäßig erscheint es, wenn der 1. Januar des Jahres 1 vor Christus ein Datum ungefähr ein Jahr und nicht ungefähr zwei Jahre vor Christi Geburt ist. Beides kann nur erzielt werden, wenn es kein Jahr 0 gibt.

Aber wie kann man den Umstand erklären, dass es keinen Tag oder keine Stunde 0 gibt? Nun, einerseits ist so etwas vor dem Hintergrund der Lehre des Aristoteles in der Physik 218 a gut nachvollziehbar: Dort sagt der Philosoph, es gebe eine lange Vergangenheit, ebenfalls eine lange Zukunft, aber die Grenze zwischen Vergangenheit und Zukunft sei ein Jetzt ohne Umfang, ohne Dauer. Wollte das Mittelalter den Anfang unserer Zeitrechnung als ein besonders herausragendes Jetzt auszeichnen, dann sollte dieses Jetzt ohne Umfang sein.

Allerdings hätte jeder Aristoteliker gleichzeitig gewusst, dass Aristoteles oft keine ultimative Doktrin mit absoluter Gültigkeit verkündet. Im Gegenteil machte Aristoteles des Öfteren seine Theoriebildung davon abhängig, welche Zwecke durch die Erkenntnis erfüllt werden. Während die Topik zum Teil für Leser bestimmt ist, die vor einem politischen Gremium argumentieren wollen, stellt sich die Analytik dagegen die Aufgabe, den Leser zur Verteidigung einer Gelehrtenmeinung gegenüber Gelehrten zu befähigen.

Aristoteles’ Lehre von der Zeit verstehe ich als eine enzyklopädische Präsentation mit folgenden Schwerpunkten: Ein Mathematiker sollte die Zeit als bestehend aus einer sich nach hinten ins Unendliche erstreckenden Vergangenheit und aus einer sich nach vorne ins Unendliche erstreckenden Zukunft verstehen. Aber die Gegenwart sollte er als eine umfanglose Grenze zwischen Vergangenheit und Zukunft verstehen. Nun beschäftigt sich der Mathematiker mit dem potenziell Unendlichen und dem potenziell Infinitesimalen als einem Reich, in dem das Phänomen der Bewegung unbekannt ist – man denke hierbei an Zenons Paradoxien. Anders als der Mathematiker beschäftigt sich der Physiker ausschließlich mit der Bewegung: mit einer endlichen Vergangenheit, einer endlichen Zukunft und einem Bereich, eher einer Pufferzone als einer Grenze zwischen ihnen ähnlich, der konventionell “jetzt” genannt wird.

Gerade diese allerletzte Vorstellung war sehr beliebt im Mittelalter – erwartungsgemäß, wenn man an den Glauben an Schöpfung und Jüngsten Tag denkt. Vor dem Hintergrund dieser Vorstellung hätten die mittelalterlichen Historiker durchaus eine Zeit null postulieren können. Ich kann mir aber auch vorstellen, dass es verwirrend für sie war, Aristoteles einerseits als die größte Autorität anzuerkennen, ihn andererseits als jemanden kennenzulernen, der die Fragen “Was weiß ich?” und “Welchen Zweck will ich damit erfüllen?” als zusammenhängend betrachtete.

Es bleibt bis dato irreführend! Stewart Shapiro, Geoffrey Hellman und Øystein Linnebo arbeiten über eine Geometrie im Geiste des Stagiriten. Die besagte Geometrie verzichtet auf aktuelle Unendlichkeit und Punkte, aber die Grenzen zwischen angrenzenden Strecken haben keinen Umfang. Das ist – Entschuldigung! – ein Durcheinander. Ein Aristoteliker muss zweierlei raten: Mathematikern muss er nahelegen, Pythagoreer und Platon zu lesen, Physiker muss er dagegen mahnen, alles, was sie in Geometrie über den Begriff Grenze lernten, zu vergessen. Aristotelische Mathematiker sind Platoniker; aristotelische Physiker sind Finitisten.

Während seines Vortrags am 18. Dezember 2014 in München betrachtete Shapiro sein Publikum kritisch und behauptete: “Ich meine, dass unsere Theorie aristotelisch ist, aber es gibt im Publikum keine Aristoteliker!”

Ganz und gar nicht! Aristoteles misfielen ultimative Ergebnisse, die an den Zwecken vorbei formuliert wurden, die diese Ergebnisse erfüllen sollen. Ein Formalist sieht das als Verrat an der Mathematik an. Ich glaube allerdings, dass die Mathematik wie die Pädagogik, die Politik  etc. die mit der Theorie zu erfüllenden Zwecke mit einbeziehen sollte.

Mit dieser Meinung bin ich in der ausgesprochen guten Gesellschaft von Aristoteles und meiner Tochter Marta.

nows

My daughter Marta asked me today if Jesus was born in the year zero. If you’re interested in giving the correct information you just answer “no”. However, children – and people in general – don’t raise questions just in order to get a correct information. They raise questions in order to serve their purposes. If you answer regardless of this pragmatic constraint then the danger is that the answer is either inadequate or too detailed.

“Jesus was born in the year 6 BC and there is no year 0” sounds adequate – but it invites innumerable questions. Of course, children can understand that some medieval historian made a mistake when he determined Jesus Christ’s birth 6 years later.

But why isn’t there a year 0? Well, an answer could be that we want the Christmas of the year 1 AD to be one year after Christ’s birth instead of two and we want the 1st of January of the year 1 BC to be roughly one year before Christ’s birth instead of – again – two. This can be achieved only if we don’t have a year zero.

In fact, there is no day zero or hour zero. This doesn’t come as a surprise if you have read Aristotle’s Physics 218a where the philosopher appears to argue that there is an extended past and an extended future, but the present, which he thought to be the limit between the past and the future, has no extension. If the medievals wanted the beginning of our chronology to be a very special “now”, then this “now” should be without extension.

However, a good Aristotelian knows that Aristotle often gave no ultimate answer as to what we would call today a-state-of-the-art knowledge on a topic. Instead, he often made his answers dependent on the purposes which knowledge serves. Parts of the Topics are written for people who formulate arguments to be presented in political assemblies, but the Analytics are written for people who want to persuade scholars.

I understand Aristotle’s views on time as an encyclopaedic framework stating the following: for a mathematician, time consists of a past which is backward infinite, and of a future which is forward infinite, the limit between past and future being an extensionless now. But mathematics is the realm of the potentially infinite and the potentially infinitesimal. Mathematics does not describe movement – Zeno’s paradoxes being the best witness to this. By contrast, physics describe nothing but movement: a finite past and a finite future and a vague time segment between them – a buffer zone rather than a limit – misleadingly also called “now”.

The medievals were fond of the latter view for reasons which had to do with their bias in favour of creation. In this sense, it’s rather strange that they didn’t postulate a time zero – and an extensive one. I suppose that it was irritating for them to realize that their greatest authority was a liberal who encouraged them to see knowledge as depending on the purposes which one serves with it.

And it’s still irritating! Stewart Shapiro, Geoffrey Hellman and Øystein Linnebo work on a geometry which is supposed to be Aristotelian in spirit. It has no actual infinity, no points, but it has limits between adjacent line segments. To my understanding of Aristotle, this is a hodgepodge. Aristotle would advice two different things: he would advice mathematicians to read the Pythagoreans and Plato, but he would advice physicists to forget about limits. The Aristotelian mathematician is a Platonic; the Aristotelian physicist is a finitist.

Shapiro, in his lecture on December 18, 2014 in Munich looked at the audience and assumed: “I say that my account is Aristotelian but there are no Aristotle people here!”

No, it’s not Aristotelian. Aristotle didn’t launch an ultimate doctrine regardless of the purposes which the doctrine serves. But to state this, is for formalists to stop talking mathematics. For me, however, in mathematics, like in pedagogics, in politics etc. the purposes which the person who raises a question wants to serve must be taken into account.

And for Aristotle too. And for my daughter Marta.

Die Wahrscheinlichkeit der Wahrheit

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Der heutige Titel kann und soll vor dem Hintergrund des Weihnachtsfestes verstanden werden. Aber er ist gleichzeitig eine Replik auf Frank Ramseys Aufsatz “Truth and Probability“. Ich erkläre die ungewöhnliche Assoziation:

Mein Argument dafür, dass Ostern ein wichtigeres Fest ist als Weihnachten, war stets, dass die Geburt eines Menschen etwas viel Gewöhnlicheres ist als die Auferstehung eines Menschen. Mit dieser Meinung blieb ich natürlich implizit dem statistischen Verständnis der Wahrscheinlichkeit verhaftet: Geburten finden wie am laufenden Band statt, Auferstehungen nicht gerade so…

Das statistische Verständnis der Wahrscheinlichkeit hat große Schwierigkeiten – allen voran den Umstand, dass es die Streuung gleichartiger Ereignisse bemisst, ohne die Gleichartigkeit endgültig bestimmen zu können. Warum ist meine Geburt mit irgendeiner anderen Geburt gleichartig? Geschweige denn mit der Geburt Christi, der ja als zeitloser Gott die menschliche Natur annahm.

Ein Anhänger der statistischen Theorie muss mit solchen skeptischen Fragestellungen leben und Ramseys Wahrscheinlichkeitskonzeption, die wegen solcher und ähnlicher Probleme die Wahrscheinlichkeit als Überzeugungsgrad ansieht, als eine philosophische Laune betrachten. Im Normalfall wissen wir ja, welche Ereignisse gleichartig sind, nachdem wir freilich die Charakteristika definiert haben, die wichtig für die jeweilige Gleichartigkeitsrelation sind.

So einfach kann man mit dem Philosophen freilich nicht abrechnen. Frank Ramsey, ein Atheist, hatte einen Bruder, Michael, der Erzbischof von Canterbury wurde. Nehmen wir nun die mereologische Summe der Überzeugungen beider Brüder: Die Ramseys würden sagen, dass nach dem Überzeugungsgrad eines Christen Weihnachten, die Annahme menschlicher Vergänglichkeit und Natur durch Gott, nur einem galt, nämlich Jesus, die Auferstehung aber uns allen zusteht. Infolgedessen muss ein Christ Weihnachten für viel weniger wahrscheinlich und deshalb für wichtiger als die Auferstehung halten.

Nach der Überzeugung eines Christen…

12 Gennesis 15. Jh. kretisch

My title today (“The probability of the truth”) can and should be interpreted as referring to Christmas. But it’s also a reference to Frank Ramsey’s paper “Truth and Probability“. I would like to explain the unusual association:

For years now, I’ve had an argument for the claim that Easter is more important than Christmas. Imagine how often you’ve been witness to the birth of a human being. And then, imagine how often you’ve been witness to a resurrection. Births are more probable than resurrections. Therefore, resurrections are more important because of exceptional rarity. Of course, by this opinion I adhered to the frequency theory of probability.

Probability as frequency is a notion with quite a few difficulties. It professes to count the likeness of events of a certain shape without being able to definitely determine what being of this shape is. Why should my birth be similar to any other? Let alone to a birth like Jesus Christ’s: a divine person’s incarnation?

I have seen these and similar questions as pedantic. They’re characteristic of Ramsey’s understanding of probability as grade of belief, also characteristic of this very philosophical how-do-you-know attitude but, for God’s sake, normally we do know which events are alike. We simply define some characteristics which are important for homogeneity.

Seems easy but it’s not. Frank Ramsey cannot be refuted so simply. He, an atheist, had a brother, Michael, who became archbishop of Canterbury. Now, let’s take the mereological sum of the beliefs of the two brothers. The Ramseys would say that to a Christian’s mind the likeliness of God’s being incarnate is much less than the likeliness of a person’s resurrection. This is because only one person became incarnate but every person will resurrect.

To a Christian’s mind…

You have three wishes

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Es sind die Tage, an denen die Allgemeinheit aus lauter Weihnachtsmännern und -frauen besteht und deshalb musste ich an mein Aladdin-Paradox denken. Als ich es den Lesern dieses Blogs zuerst präsentierte, habe ich nicht festgestellt, dass es eine logische Moralitätslücke darstellt.

Der Flaschengeist erscheint und fordert dich auf, drei Wünsche zu äußern. Deine Wünsche sind:

1. ein vierter Wunsch

2. ein Haus

3. ein Auto

4. eine Yacht

Natürlich bekommst du mit dieser Strategie im bestmöglichen Fall nur drei Geschenke, aber das ist nicht problematisch. Meinetwegen kannst du ein Flaschengeisthasser sein oder jemand, der glaubt, das sei kein echter Flaschengeist, sondern ein Logikprofessor, den du ärgern willst. Egal – es gibt viele Möglichkeiten zu erklären, warum du so reagierst…

Die Hauptfrage lautet: Muss der Flaschengeist den vierten Wunsch erfüllen? Wenn nicht, dann nur deshalb, weil er bereits drei Wünsche erfüllt hat. Aber, wenn die drei Wünsche bereits erfüllt sind, dann auch der erste. D.h. der Flaschengeist muss dir den vierten Wunsch erfüllen und die Yacht geben. Natürlich ist in diesem Fall der erste Wunsch entgegen der Annahme erfüllt worden, dass er nicht erfüllt worden wäre. Und wenn der erste Wunsch erfüllt wurde, dann ist der dritte und letzte Wunsch der mit dem Auto. Infolge dessen darfst du nicht mehr die Yacht haben. Das bedeutet aber, dass im Endeffekt der erste Wunsch nicht erfüllt wurde etc.

Nach der Erfüllung des Wunsches mit dem Auto weiß der Flaschengeist nicht mehr, was er zu tun hat. Er muss drei Wünsche erfüllen, was ihm aber aus logischen Gründen misslingen muss und zwar nicht, weil sein Angebot widersprüchlich war, sondern weil du auf eine bestimmte Art reagiertest, die eine Moralitätslücke produzierte.

Diejenigen die Yachten lieben (wie ich) sollten sich folgendermaßen verhalten, um den Flaschengeist zu ärgern und trotzdem zufrieden zu sein: Als Allererstes wünschen sie sich die Yacht. Und dann ein Haus in Venedig.

In Venedig braucht man sowieso kein Auto…

THE_TWILIGHT_ZONE_SEASON_2_DISC1-4

Like everyone, I play Santa these days and I had to think of my Aladdin paradox again. When I first presented it to the readers of this blog, I hadn’t realized that it invites what I’d like to call a morality gap.

The genie appears and asks you to make three wishes to be fulfilled. You wish, say:

1) a fourth wish

2) a house

3) a car

4) a yacht.

Of course, by this strategy you still get, in the best possible case, only three presents, but this is not the issue. Only two suggestions for your motives to react this way could be that you hate genies, or you don’t believe that he is a genie but rather a logic professor whom you want to irritate – something like this…

The question is: must the genie grant you the fourth wish? If not, that means that your three wishes are fulfilled. But if the three wishes are fulfilled then so is the first and the genie has to grant you the fourth wish and give you the yacht. NB, this means that the genie grants you the first wish against the assumption that he didn’t. However, if the genie grants you the first wish then the last wish of the three is the car. Therefore he mustn’t give you the yacht. But this means that, in effect, he didn’t grant you the first wish either.

The genie doesn’t know what to do. He must fulfill three wishes, however he has no chance to succeed in this, and this only because you reacted in a certain way, not because his offer was contradictory. You produced a morality gap.

Those of you who love yachts (like me) and want to irritate the genie should do the following: if the genie comes to you, set the yacht as your first wish. Then wish a house in Venice.

In Venice you don’t need a car anyway…

Rational choice

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Der Grundtenor der Theorie des rationalen Handelns in bezug auf Religionen besteht darin, im religiösen Verhalten ein ökonomisches Verhalten zu sehen. Religionen sind Dienstanbieter, die um die knappen Ressourcen und die Kunden in Wettbewerb treten.

Man kann umgekehrt auch wirtschaftliches Handeln als rituelle Handlung betrachten. Einer Prozession und einer durch Wunder herbeigeführten Veränderung von Einstellungen vom ersten bis zum vierundzwanzigsten Dezember ähnelt das alljährliche Antreiben der Nachfrage in einer Volkswirtschaft, die ansonsten das Sparen begünstigt.

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The point of the rational choice theory in reference to religions consists in seeing religious behaviour as economic behaviour. Religions are service providers which compete over scarce resources and customers.

One can also see, vice versa, economic behaviour as a ritual. The stimulation of demand every year from the first to the twenty fourth of December, is similar to a procession meant to praise the miracle of a temporary change of attitude – towards an attitude which drives demand in a country famous for its austerity.

Philosophy students in the year 1966

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Gerade eben fotografierte ich ein Gemälde, dessen Figuren mich seit Jahren mit ihren Augen verfolgen, wenn ich unterwegs im Lehrgebäude 1 auf dem Erfurter Campus bin: Lutz Godes “Studenten”.

Ich mag’s. Es ist nicht gerade was ich mir unter sozialistischer Realismus vorstellte, als ich hierher kam. Oft habe ich mich gefragt, wer unter diesen Figuren ein Philosophiestudent sein könnte. Die Frage ist gewiss a-historisch, da die Pädagogische Hochschule Theodor Neubauer (Gode malte das Ensemble im Jahr 1966) eine Ausbildungsstätte für Lehrer war, weshalb es keine Philosophiestudenten im heutigen Sinn hatte. Allerdings war die Philosophie im Schullehrplan der DDR viel wichtiger als in den Lehrplänen der heutigen Bundesrepublik – also warum nicht? Zwar ging es dabei um Marxismus, aber die Marxisten waren immer sehr bereit Lehren aus der Philosophiegeschichte zu ziehen, was immerhin eine Kenntnis von Philosophiegeschichte voraussetzt.

Da ist z.B. dieser junge Mann, der so aussieht, als sollte aus ihm ein Experte der normativen Ethik werden. Eine junge Dame ist mehr an Sartre interessiert als am Kommilitonen, der wie Thomas Metzinger aussieht und ihre Aufmerksamkeit auf sich ziehen will. Elke Brendel, oder jemand, die wie Elke Brendel mit einer anderen Frisur aussieht, steht nicht weit weg von diesen beiden.

Schließlich ist da eine Figur, die wie meine Mutter aussieht. Bloß ihr Körper ist nicht exakt deckungsgleich mit dem Körper, den meine Mutter im Jahr 1966 hatte, als sie hochschwanger mit mir war.

ENOUGH WITH SCROLLING

I just took a picture of a painting which accompanies me for years when I’m in Building 1 of the Erfurt campus: Lutz Gode’s “Students”.

I fancy it. It’s not what you expect a socialistic-realism painting to be. I’ve been thinking which figures are philosophy students – which is probably an a-historical question since the back-then “Pädagogische Hochschule Theodor Neubauer” (Gode painted it in 1966) was a college of education in which a student could gain a teacher’s degree, not an MA in philosophy. But, again, philosophy was more essential for the GDR than it is for Germany today. Of course, this was Marxism, but, once again, Marxists were always eager to learn some history of philosophy.

I have identified someone who looks like he’s going to be a normative ethics expert. I mean, if not him, then who else? (I just gave you a wink)

Then, there is this girl who’s interested more in Sartre than in the young man who looks like Thomas Metzinger and tries to draw her attention; and another girl who looks like Elke Brendel lest the hairdressing. And there’s one more girl who looks like my mother – however not like my mother’s body looked like in 1966 because back then she was pregnant with me.

Mapping, classes, functions, icons 78 years after

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Gestern vor 78 Jahren wurde der Mathematiker und Theologe Pawel Florenskij nach einem Schauprozess bei Sankt Petersburg hingerichtet. In diesem Semester leite ich ein Seminar zu seinem Werk und in der gestrigen Sitzung ging es um seine Ansichten zur Malerei, insbesondere zu den byzantinischen und altrussischen Ikonen.

Eine Ikone ist für Florenskij eine Abbildung einer erlebten Realität. Bei der Abbildung kommt es nicht auf Realitätstreue an, sondern es kommt einzig und allein darauf an, welche Funktion mit der Abbildung Ausdruck findet. Der Naturalismus ist dabei nur eine von vielen Möglichkeiten.

Das Thema passte zum Gedenktag. Florenskij ist mittlerweile selber eine Ikone geworden.

In der Quellsprache, dem Griechischen, benutzt man allerdings das Wort “Ikone” niemals metaphorisch, bezogen auf eine Person. Ikonen sind im griechischen (und im altrussischen) Sinn Darstellungen, die niemals mit dem Abgebildeten zusammenfallen.

Schon wieder ist es spät geworden und ich muss die morgige Vorlesung zu Theodor von Studion und seinen sic-et-non Argumenten gegen die Ikonoklasten vorbereiten – so ein Zufall aber…

Deshalb höre ich jetzt mit diesem Beitrag auf und klicke ein anderes Icon an.

orththeol

78 years before yesterday, Pavel Florensky, the Russian mathematician and theologian was executed near Saint Petersburg after a show trial. Yesterday, my Florensky class was dedicated to Florensky’s views on painting, particularly to Byzantine and Old Russian  icons. For Florensky, an icon is a map of a perceived reality. A map is not supposed to be faithful to the original. The mapping is only supposed to represent a certain function. Naturalism is only one of many options.

The topic was very suitable for the anniversary. Florensky himself has become an iconic figure.

In the language, however, from which the word “icon” originates, i.e. in Greek, “icon” never refers metaphorically to a person. An icon in the Greek (and the Old Russian) sense of the word is a map which never coincides with the mapped thing.

But now it’s late and I have to prepare tomorrow’s lecture on Theodore Studite’s sic-and-non arguments against the iconoclasts – an unbelievable coincidence. I’m hurrying up to post this and to click on another icon.

Der Schlaf der Vernunft

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Alles schläft erschöpft, nur ich arbeite zur späten Stunde wie nur so oft in den letzten neun Jahren, nachdem wir das erste Kind bekommen haben, gucke mir diese virtuellen Fenster auf dem Bildschirm an und überlege: Wo wäre ich publikationsmäßig, wenn der Fortschritt ausgeblieben wäre und ich an einer lauten, Kinder-mitten-in-der-Nacht-weckenden Schreibmaschine hätte arbeiten sollen?

Window

The others are asleep and I continue working in the middle of the night like so often in the past nine years after our first child. I’m staring at these virtual windows and thinking: where would I be in terms of publications if the progress hadn’t taken place and I’d have to work with a loud typewriter which would wake up the kids?

Nothingness does exist

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An der endgültigen Fassung dieses Artikels zur “Landschaft” einer möglichen Welt arbeite ich, die nichts Konkretes enthält. Es ist unvorstellbar, wie viele Dinge in dieser Welt müssen definiert werden können (Mengen, Zahlen, semiotische Systeme), selbst wenn sie keine konkreten Individuen “beherbergt”.

Wie immer, wenn ich an einem Artikel arbeite oder darüber nachdenke, fragt die Familie “Was ist das, worüber du gerade nachdenkst?” und ich antworte “Nichts”.

Diesmal ist diese Antwort sogar wahr!

Ich habe leider kein Bild für diesen Beitrag anzubieten. Die Aufgabe, das reine Nichts zu fotografieren, reizt mich zwar, aber wirklich gewachsen bin ich ihr doch nicht…

ENOUGH WITH SCROLLING

I’m working on the final draft of this article on the “landscape” of a possible world which doesn’t contain anything concrete. One cannot imagine how many things can be defined in it (sets, numbers, semiotic systems) even if it is devoid of concrete individuals.

Like always when I think or work on an article, my family asks: “What’s going through your mind right now?” and I answer “Nothing”.

Which – this time – is true…

There’s no picture for this post, I’m afraid. I find the task of taking a picture of nothingness demanding, but it beats me.

There’s only love at first sight

Maxvorstadt

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Die von mir geliebten Ensembles in der Maxvorstadt sind immer noch dieselben, die ich vor 21 Jahren geliebt habe: Zum Beispiel das Institut für Logik neben dem Institut für Orthodoxe Theologie hinter einem halbzerstörten Tor – genau mein Lieblingsmotiv damals, als ich meinen Eltern die erste Postkarte aus München schickte.

Die Dinge allerdings, die mir von Anfang an Wurscht waren, sind mir immer noch Wurscht.

ENOUGH WITH SCROLLING

Those glimpses which I still love in the life of the Munich neighbourhood where the university institutes are situated, are still the same during the last 21 years: the Logic Institute and the Institue of Orthodox Theology side by side, just next to the half-destroyed arch – these were exactly my favourite motives 21 years ago, when I sent my parents the first postcard from Munich.

By contrast, all those things towards which I was indifferent back then – well, I still don’t love them.

PS: Thanks to Max Goncharov for the picture.