Kuhn meets Cavafy

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Für gewöhnlich verschmäht die akademische Philosophie die Poesie. Das ist unentschuldigbar. Eine bessere Lektüre, die einem vor Augen führt, einem in einer Krise befindlichen wissenschaftlichen Paradigma zu dienen, eine bessere als K.P. Kavafis’ “Warten auf die Barbaren”, kenne ich nicht:

– Worauf warten wir, versammelt auf dem Marktplatz?

– Auf die Barbaren, die heute kommen.

– Warum solche Untätigkeit im Senat?

– Warum sitzen die Senatoren da, ohne Gesetze zu machen?

– Weil die Barbaren heute kommen.

Welche Gesetze sollten die Senatoren jetzt machen?

Wenn die Barbaren kommen, werden diese Gesetze machen.

– Warum jetzt plötzlich diese Unruhe und Verwirrung?

(Wie ernst die Gesichter geworden sind.) Warum leeren

sich die Straßen und Plätze so schnell, und

warum gehen alle so nachdenklich nach Hause?

– Weil die Nacht gekommen ist und die Barbaren doch nicht

erschienen sind. Einige Leute sind von der Grenze gekommen

und haben berichtet, es gebe sie nicht mehr, die Barbaren.

Und nun, was sollen wir ohne Barbaren tun?

Diese Menschen waren immerhin eine Lösung.

Aus: Konstantinos Kavafis, Das Gesamtwerk, übers. v. Robert Elsie , Zürich, 1997, 70-73.

Enough with scrolling

Often, academic philosophy shows contempt towards poetry. This is unforgivable. I know of no better way to express the feeling of serving a paradigm in crisis than C.P. Cavafy’s “Waiting for the Barbarians”:

– What are we waiting for, assembled in the forum?

– The barbarians are due here today.

– Why isn’t anything happening in the senate? Why are the senators sitting there without legislating?

– Why this sudden restlessness, this confusion?
(How serious people’s faces have become.)
Why are the streets and squares emptying so rapidly,
everyone going home so lost in thought?

– Because night has fallen and the barbarians have not come.
And some who have just returned from the border say
there are no barbarians any longer.

And now, what’s going to happen to us without barbarians?
They were, those people, a kind of solution.

C.P. Cavafy, Collected Poems. Translated by Edmund Keeley and Philip Sherrard. Edited by George Savidis. Revised Edition. Princeton University Press, 1992)

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A farewell to UNILOG 2018

English (italicised) just after the German paragraph

Gerade weil es wie Fritz Langs Metropolis anmutet: Überall lässt sich Ruhe finden. Einen schönen Sonntag von der Sankt-Blasien-Kirche in Vichy.

Even if and even because it resembles Fritz Lang’s scenery in Metropolis: peace of mind can be found everywhere. My wishes for a nice Sunday from St. Blaise’s church in Vichy, France.

A bunch of logicians

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Das Deutsche bezieht sich verschiedentlich auf verschiedene Ganze je nach ihrer Natur und ihrer Struktur: “Schwarm”, “Stapel”, “Haufen”, “Herde” sind nur ein paar solche Bezeichnungen.

Parakonsistente Logiker sollten wohl “Übersättigungen” sein („Ich habe gerade eine Übersättigung unterwegs zum Hörsaal gesehen“). Glauben sie doch an an Wahrheitswerten übersättigte Sätze, oder?

Im Hintergrund kann man gerade noch Jean-Yves Béziau und Hartry Field erkennen. Graham Priest habe ich noch nicht getroffen, aber er kommt noch. Ich nehme Wetten bezüglich der Identität des geheimen Sprechers heute nach dem Cocktail an.

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Ordinary language has many ways to denote different wholes according to their nature and structure: “flock”, “pile”, “bunch”, “heap” etc.

Paraconsistent logicians should be called “gluts” (“Hey, did you see the glut of UNILOG 2018 going towards the opera?”). They do believe in truth-value gluts after all, don’t they?

Behind me you can recognise Jean-Yves Béziau and Hartry Field among others. I haven’t seen Graham Priest yet. I’m accepting bets concerning the identity of the secret speaker after the cocktail party.

Indeterminacy of translation on a higher level

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Paul sagt: “Alle Profs nach alten C-Tarifverträgen erhalten mehr Geld als GEWISSE Profs, die keine alten Verträge haben”

Zwei Übersetzungen sind hier möglich (das Problem ist natürlich das Wort “gewisse”, aber es gibt nun mal solche Wörter in den natürlichen Sprachen):

und

Welche Übersetzung ist die richtige? Das wissen wir natürlich nicht. Es sei denn, sagte Davidson, wir legen ein pragmatisches Kriterium der Wahrheit und ergo Übersetzung zu Grunde.

Und wenn Paul lügen wollte? Ohne dass sich das aus dem Text ergeben sollte?

Deshalb mein Rat an die Kollegen: Bringt doch jungen Menschen nicht bei, die natürliche Sprache in die Sprache der Logik zu übersetzen. Sondern bringt ihnen bei, dass es sich dabei um zwei inkommensurable Systeme handelt! Und dann bringt ihnen Logik um ihrer selbst willen bei!

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Paul says: “All professors who are administrators earn more than CERTAIN professors who are not administrators”.

You can translate this in two different ways (the problem being the word “certain” – but you can’t just prohibit words of ordinary language without ad hoc deforming it to resemble logical language):

and

Of course, we don’t know which translation is correct. But stop! You can presuppose Davidson’s pragmatic criterion of truth and translation.

OK, assume you did that! And if Paul is supposed to lie without giving a hint for it? (I mean, we normally lie without hints – at least Freudian ones – don’t we?)

I recommend my colleagues: don’t teach these young people how to translate ordinary language into logical language! Teach them that these two are incommensurable systems instead. And then teach them logic in its own right.

A Soviet ruler

English after the picture.

Sorry, nur Englisch diesmal. Die Gründe liegen auf der Hand…

You have every reason in the world to be proud of your daughter if she hates a Soviet ruler.

This is also my point of view. Generally, that is. According to one interpretation of the phrase “a Soviet ruler” however, this time Margareta broke my heart. My Soviet ruler was an irreplaceable memorabile.

Byy Gott, isch daas bigott!

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Peinlich ist es für mich, der ich zwischen 1993 und 2016 als Wahlmünchner galt, über Thomas Ribis Meinungsartikel in der NZZ über Bayern als Land derjenigen zu stolpern, die in der Sache keine Ahnung vom Christentum haben, aber gern das Kreuz demonstrieren, sobald ein Syrer vorbeikommt oder ein Gericht, eine bekannte Unterscheidung Immanuel Kants anwendend, Staatskonformität beim offiziellen Vernunftgebrauch verordnet.

Peinlich ist mir das auch als Bundesbürger. Rund 150 Jahren nach der Reichsgründung gleicht der Umgang der liberalen, rechtsstaatlichen Bundesbehörden mit Bayern immer noch Bismarcks protestantischem Kulturkampf gegen römisch-katholischen Provinzialismus. Eine echte Chance für den Bund, nicht in überheblich-aufklärerischer Manier den Kopf über das kindische Betragen des größten Bundeslandes zu schütteln, ist dabei nicht gegeben, denn es ist auch peinlich, wie beim bayerischen Ministerpräsidenten die Uhr stehen geblieben ist! Kaum angetreten, musste sich Markus Söder (Thema seiner Doktorarbeit in Erlangen: “Von altdeutschen Rechtstraditionen zu einem modernen Gemeindeedikt: Die Entwicklung der Kommunalgesetzgebung im rechtsrheinischen Bayern zwischen 1802 und 1818”) beim Wahlvolk als gerade der folkloristischen Gegnerschaft gegen das Kruzifixurteil würdig erweisen. Er weiß genau: Sein Standardwähler, insbesondere der xenophobe mit Rautenfahne über dem Grill im Garten, wird sich darüber freuen, wenn in jeder Behörde ein Kreuz hängt. Dass der Ministerpräsident die Autorität des Bundesverfassungsgerichts damit unterminiert, das religiöse Neutralität verordnet, dürfte dem Standardwähler fremd als Bedenken sein. Wohl auch Söder, der in Karlsruhe eine Stadt sieht, die eben nicht zum rechtsrheinischen Bayern gehört.

Ich frage mich, wie lange noch Narrenfreiheit. Wozu braucht diese große Koalition die CSU, die doch stets demonstriert, in einen anders begründeten Staat gehören zu wollen?

Aber das Neue in diesem Kulturkampf ist, wie Kardinal Marx und Weihbischof Bischof (sie heißen wirklich so), den Ministerpräsidenten rügen, das Kreuz für seine machtpolitischen Ansprüche zu missbrauchen. Meiner Meinung nach wird das Kreuz grundsätzlich von den Kulturkatholiken, -protestanten und -orthodoxen missbraucht und der Umstand, dass Marx und Bischof – ersterer doch Erzbischof von München und Freising, letzterer doch kein Erzmarxist! – das sehen, zeigt, dass Söder gerade die Unterstützung der Christen verliert, wenn er sich um die Anhängerschaft eines kulturchristlichen Kulturproletariats bemüht.

Symphonia, der Einklang zwischen Staat und Kirche, ist seit dem 5. Jh. im Westen in Ermangelung einer Reichskirche abhanden gekommen. Dass Söder, ausgerechnet ein in Rechtsgeschichte Promovierter, meint, diese Tradition rückgängig machen zu können, ist, wie das Ganze – und wie gesagt – nur peinlich.

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The facts are shameful, let alone the facts interpreted when the background is taken into consideration: the new Bavarian prime minister prescribed authorities of his southern German state to attach crosses in the halls and offices and did so himself in front of journalists in his own office. By this, he relaunches a political issue of past decades, when Bavaria (back then led by the political idol of the premier) refused to conform with the Federal Constitutional Court’s decision that prescribed religious symbols to be removed from schools on demand of pupils or parents – even of a minority of pupils or parents.

Quite new in the debate, however, is cardinal Marx’s and bishop Bischof’s rejection of the prime minister’s actions. The Bavarian government, although conservatives and politically linked to the chancellor’s party, has been hostile to Merkel’s humanitarian policies to relieve refugees. Using the cross as a political symbol equivalent to “Syrians go home” is something, however, that Marx, at the same time Roman-Catholic archbishop of Munich, and Bischof, at the same time not a Marxist – a joke but not just a joke – warn against.

This is intelligent of them and according to a western and German tradition. Since in the Christian West there has been no state church since the 5th century, the premier’s policy involving religious symbols – a person’s whose PhD thesis was on the history of justice – is not only populism: it is a shame for the University of Erlangen/Nuremberg that granted him the title.

Entertaining June

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Keine hochfliegenden Gedanken für heute. Bloß zwei Juni-Musikstücke vor und nach dem Englischtext, die ich seit eh’ und je liebe, und der Link zu einer Konferenz, in der ich die aristotelische Sau rauslasse.

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No big philosophy for today. Just two songs that pertain to June and that I’ve loved for years and years, and a link to a conference in which I’ll have an Aristotelian agenda to defend.