Nasreddin Endoxodja

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Hier und hier und hier habe ich meine Überzeugung zum Ausdruck gebracht, dass die Geschichten des Nasreddin Hodscha von einer mittelalterlichen turksprachigen Logiktradition zeugen. Oft sind Tricks mit endoxa – plausiblen Meinungen, die in Ermangelung von ersten Prinzipien als Prämissen von Argumenten gelten können – die Pointe von ein paar eher gesellschaftskritischen Geschichten Nasreddins.

Der mobile Backofen ist eine solche Geschichte: Nasreddin baute einen Holzofen in seinem Garten, als ein Passant seine Verwunderung darüber ausdrückte, dass die Öffnung gegen Osten war. “Die Nachmittagssonne wird dich blenden, wenn du am Ofen bäckst”.

Nasreddin erschien das überzeugend. Er riss also den Ofen nieder und fing aufs Neue an, als der nächste Passant zu ihm rief: “Bist du von Sinnen, die Öffnung nach Norden zu bauen? Der kalte Nordwind im Rücken wird dir gerade bei der Hitze an Brust und Gesicht unglaublich unangenehm”. Also baute Nasreddin zum dritten Mal den Ofen auf, als dem nächsten Passanten die Öffnung nach Westen nicht gefiel. Habe denn Nasreddin nicht daran gedacht, dass die Morgenbrote just zur Zeit aus dem Ofen kommen, wenn die blendende Sonne aufgeht?

Nasreddin blieb nur eines übrig: Die Öffnung nach Süden zu bauen. Das tat er auch, als der nächste Passant ihn darauf aufmerksam machte, dass der Nordwind den Rauch ins Haus wehen wird.

Also fing Nasreddin zum fünften Mal an, den Ofen zu bauen – auf seiner Schubkarre…

Einander bekämpfende endoxa thematisiert Aristoteles in den Sophistischen Widerlegungen 183 b 1-6. Er sieht die Lösung in der Entscheidung für das endoxotaton unter den endoxa, d.h. für die plausibelste unter den plausiblen Meinungen. Selbst Aristoteles hatte aber keine feste Meinung über die plausiblen Meinungen. In der Topik 159 b 4-6 scheint er anzunehmen, dass die Negation eines endoxon (einer plausiblen Meinung) ein adoxon (eine unplausible Meinung) sein muss. Nasreddin entscheidet sich (fast hätte ich hier “deshalb” geschrieben), die Lehre, die den Umgang mit endoxa behandelt, die Dialektik also, ad absurdum zu führen.

Einen Sonderfall bilden unerschütterliche Topoi. Das schildert die Geschichte des versteckten Esels:

Ein Nachbar bittet Nasreddin darum, ihm seinen Esel zu leihen. Da Nasreddin seinen Esel nicht leihen will, gibt er an, er hätte seinen Esel bereits geliehen, als der Esel im ungünstigsten Moment aus dem Stall zu schreien anfängt. Den erbosten Nachbarn versucht Nasreddin mit der Frage umzustimmen: “Glaubst du meinem Esel oder mir?” Der Umstand, dass “Eselsgeschrei aus dem Stall, also Esel im Stall” ein unerschütterlicher Topos ist, macht jede Überlegung über die Glaubwürdigkeit des Behauptenden obsolet. Im dargelegten Fall wird der Nachbar keine Schwierigkeiten damit gehabt haben, die Negation des Topos als ein adoxon zu erkennen.

Plaristotleddin

Here and here and here, I’ve expressed my thought that the Nasreddin-Hodja stories are witnesses to a turkic medieval tradition of logic. Tricks with endoxa – plausible opinions which can be useful as premises of arguments if no first principles are available – are the point of a couple of Nasreddin stories that pertain to social criticism.

The mobile oven is a story of this kind: Nasreddin built a wood-fired oven in his yard to be criticized by a passer-by that the oven’s frontside being towards the east he would be blinded every afternoon by the setting sun.

The argument persuaded Nasreddin. He destroyed the oven and constructed another one whose frontside looked to the north. The next passer-by wondered how Nasreddin failed to realize that everyone who would work at the oven in the winter, would feel the cold from the northwind on her back in an exceptionally unpleasant manner because of the heat on her face. There was an argument also against the new oven whose frontside was to the west. Baking bread rolls on a holiday morning would be a torture at sunrise.

Only one option remained: an oven with a frontside to the south – and Nasreddin took it. But of course – the next passer-by was quite sure about it – the northwind would carry the smoke into the house.

Subsequently, Nasreddin started his fifth attempt to construct his oven – this time on his wheelbarrow…

Conflicting endoxa are an issue already since Aristotle. In the Sophistical Refutations 183 b 1-6 Aristotle saw a solution in deciding for the endoxotaton among the endoxa, i.e. for the most plausible opinion among the plausible opinions. But he doesn’t appear to be quite certain about his solution since in the Topics 159 b 4-6 he maintains that the negation of an endoxon is an adoxon – viz. unacceptable. Nasreddin’s way out of the riddle is to lead ad absurdum the whole dialectic, the doctrine supposed to teach us how to deal with endoxa.

Topoi form a special case as one can see in the story of the hidden donkey:

A neighbour asks Nasreddin to lend him his donkey. Nasreddin prefers to lie to him: “I’m terribly sorry, dear friend, my brother-in-law has borrowed the donkey”. In this moment the donkey that was all the time in the stable a few feet away, starts to bray, the neighbour gets angry over Nasreddin’s lie, and Nasreddin protests: “You’d rather believe my donkey than me?” Of course, since “If a donkey brays in the stable then a donkey’s in the stable” is a topos, every thought on Nasreddin’s reliability compared to the donkey ‘s is obsolete. In this case, the neighbour shouldn’t have any problems to realize that the negation of a topos is an adoxon.

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Aladdin and self-reference

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Die Frage kam von den Kindern: “Was würde der Flaschengeist machen, wenn Aladdin sich als aller Erstes eintausend extra Wünsche wünschen würde?”.

Sie haben wohl an die moralische Richtigkeit eines solchen Wunsches gedacht und sicherlich nicht die logische Situation im Blick gehabt. Mich interessiert natürlich auch letztere. Und diese ist recht eindeutig: Wenn der Flaschengeist diesen Wunsch verwirklicht, dann stellt das einen Widerspruch zur genau-drei-Wünsche-Regel dar. Wenn er diesen nicht verwirklicht, dann verwirklicht er einen von drei Wünschen nicht – wieder ein Widerspruch!

Meine Vermutung war, dass der Flaschengeist den Wunsch auf tausend extra Wünsche als keinen gültigen Wunsch ansehen würde. Die Aussage des Flaschengeistes: “Du hast drei Wünsche frei” beschränkt sich auf Sachen, die selber keine Wünsche sind. Wie es in der traditionellen Logik heißt, gilt die Aussage des Flaschengeistes nur secundum quid – in bestimmter Hinsicht.

Später überkamen mich Zweifel an der Richtigkeit meiner Antwort an die Kinder. Denn – angenommen – Aladdin verlangt als aller Erstes einen vierten Wunsch und der Flaschengeist betrachtet diesen Wunsch als ungültig, so wie ich den Kindern erklärte (“Secundum quid, mein lieber Aladdin! Secundum quid!”). Nach dieser Mahnung hat Aladdin allerdings “vernünftige” Wünsche. Z.B. “Ich will reich werden” und “Ich will schön werden”, was der Flaschengeist ihm erfüllt. Damit sind aber nur zwei Wünsche von Aladdin erfüllt worden! Um den damit zusammenhängenden Regelbruch zu vermeiden, muss der Flaschengeist Aladdin noch einen Wunsch frei lassen. Angenommen, dieser Wunsch lautet: “Ich will klug werden”. Erfüllt der Flaschengeist diesen Wunsch, dann macht er Aladdin reich, schön und intelligent. Notabene ist das Ergebnis genau dasselbe, wie wenn der Flaschengeist Aladdins “ungültigen” Wunsch durchgelassen hätte. D.h., wenn der Flaschengeist Aladdin intelligent macht, verwirklicht er eo ipso Aladdins Wunsch, vier Wünsche insgesamt frei zu haben. Drei ist gleich vier…

Fazit: Aladdin bringt mit seinem ersten Wunsch ein Paradox zustande, für das die traditionelle secundum-quid-Strategie nicht greift.

Alladin 2

“What would the genie do if Aladdin’s first wish were one thousand extra wishes?” asked the kids.

They were probably thinking about the moral correctness of such a wish, certainly they didn’t consider the logical situation. Of course, I’m interested also in the latter. To be sure, four wishes contradict the three-wishes rule. However, if this wish doesn’t come true, then Aladdin will have had only two wishes – which comes down, again, to contradiction!

I supposed that the genie would disallow the one-thousand-extra-wishes wish. The genie’s statement “You have three wishes” towards Aladdin is valid only insofar as no wish is the object of any of the three wishes. The traditional logic expressed this restriction as validity secundum quid – in certain respects.

Now I’m in doubt whether what I said is true. Let’s assume that Aladdin’s first wish is a fourth wish and the genie disallows this wish, like I explained to the children (“Secundum quid, Aladdin, my dear! Secundum quid!”). After this, Aladdin has two wishes (“Make me rich”; “Make me handsome”) which the genie makes come true. Until now only two of Aladdin’s wishes were granted. In order to do justice to the rules of the game, the genie grants Aladdin one more wish. Let’s say that Aladdin utters the wish to become intelligent. If the genie makes this wish come true, he makes Aladdin rich, handsome and intelligent. NB, the outcome is the same as if the genie had allowed four wishes. I.e. if the genie makes Aladdin’s wish “Make me intelligent” come true, he makes eo ipso Aladdin’s “invalid” wish come true. Three is four…

Conclusion: Aladdin triggers a paradox on which the traditional secundum-quid strategy has no effect.

Klassisches Dilemma

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Es ist unglaublich, wie viel Logik sich im trivialen Kulturschema verbergen kann. Z.B. hörte ich heute folgenden Spruch: “Wenn du trinkst, stirbst du. Wenn du nicht trinkst, stirbst du. Am besten ist es also, wenigstens getrunken zu haben, bevor du stirbst.” Hier haben wir ein klassisches Dilemma mit einer typischerweise einzigen Schlussfolgerung, mit mindestens einer wahren Interpretation und vielen sophistischen – je nachdem, was man trinken soll, wieviel davon, und warum man sterben soll. Und die rational-choice-Theorie ist ansatzweise auch dabei. Lasst den Spruch auf der Zunge zergehen. Es ist Zauberei.

It is astonishing how much logic you can find in an ordinary-people-saying. E.g.
in the following which I heard today: “If you drink, you die. If you don’t
drink, you die. Therefore you’d better drink before you die.” What we have here
is a classical dilemma with its typical unique conclusion, at least one true
interpretation and many-many sophistical ones depending on what you are supposed
to drink, how much you are supposed to drink, and which are supposed to be the
reasons of your death. Not to mention the rational-choice-theory which you get
just like this… Let the saying melt on your tongue. It’s magic