Immer fehlt jemand

Mit der Begründung, man könne vielleicht feststellen, was wo existiert, aber nie, was wo fehlt (denn wie lässt sich Nichtsein feststellen?), wurde die Privation, der Mangel an etwas, aus dem Wissenschaftsvokabular in der Neuzeit verbannt.

Das ist unvernünftig, meine ich. Denn Privation lässt sich ohne Schwierigkeiten in einem Fragment der n-wertigen Prädikatenlogik erster Stufe von Łukasiewicz formalisieren (vgl. meinen Entwurf in: Beziau/Jacquette, Around and beyond the Square of Opposition, Basel: Birkhäuser, 2012, 229-239). Aber vor allem habe ich immer besser gewusst, was mir fehlt, als was ich habe.

Das Wetter kann nochmal so sonnig, die Kinder nochmal so glücklich und die Ehefrau nochmal so unbesorgt sein: Übers Wochenende fehlen mir meine Studenten. Es gibt da Abstufungen – also mehrere Privationsstärken. Meine Studenten würden mir anders fehlen, wenn ich vor Ort in Erfurt wohnen würde, wo ich die Hoffnung hätte, ihnen zufällig über den Weg zu laufen, anders, wenn ich in Weimar wohnen würde, wo ich immerhin die Hoffnung hätte, ihren Weimarer Freunden über den Weg zu laufen, und anders in der Münchener Peripherie, wo das Durchschnittsalter – gefühlt jedenfalls – 60 ist. Anders fehlen sie mir jetzt, wenn ich weiß, dass nur ein paar Stunden bis zum nächsten Seminar sind, und anders im Juli…

Im Juli wiederum fehle ich wenigstens hier nicht:

Bild

Im Moment aber schon. Ich frage mich, wie es mein Strand ohne mich, ohne meine Fischernetze, ohne mein Tauchen aushält. Gerade an solchen Wochenenden wie das jetzige.

3 thoughts on “Immer fehlt jemand

  1. Genau. Dein Strand geht ohne dich bestimmt ein!
    Aber manchen sind diese Zusammenhänge einfach nicht klarzumachen. Sie würden etwa behaupten, dass dein Strand, hätte er dich nicht, sich schlichtweg mit jemand anderem vergnügen würde, und es daher vollkommen irrelevant wäre, ob du existierst oder nicht…
    Wie blöd. Bzw. viel zu negativ und nihilistisch gedacht. Ich bin der Meinung, dass deine Existenz und Anwesenheit durchaus relevant ist. Nicht nur für den Strand… 😉

      • Diese festzumachende Kontexte müsstest du noch genauer erläutern…
        Ich hänge noch an dem Punkt: “das Nichtsein feststellen” – gäbe es dich nicht, wüssten wir das nicht, und daher – so die These, dürfte man (oder dein Strand) dich auch nicht vermissen. Nun kommst du mit dieser Privationsgeschichte – übrigens deckungsgleich mit meiner Erfahrung, dass Menschen mir von Sehnsüchten erzählen, nach Menschen oder Dingen oder Zuständen, deren Existenz nicht gesichert ist…
        Bin verwirrt. Philosophische Kategorien waren noch nie meins… In der Theologie würden wir das Verheißung nennen und das “Noch-nicht des Reiches Gottes” 😉 Hilfe…

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