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Ich lese Eva Illouz’ Warum Liebe endet – einen soziologischen Traktat, einen nicht wertfreien allerdings, über das, was in Illouz’ Augen eine neue Liebeskultur ist, welche Liebe und Mensch zerstört. Dating-Apps, schnelle Intimität oder Scheinintimität, sexuelle Mobilität, welche die Menschen ihren Zukunftsängsten überlässt, sind Illouz’ Schreckgespenster.
Ich bin der letzte, der die neue Liebeskultur gutheißt, wenn es so etwas überhaupt gibt. Was ich allerdings sehe, sind elektronische, ihrer Natur nach immer noch vormoderne Kupplergeschäfte. Trotzdem interessieren mich an Illouz die Beispiele, mit denen sie die vormoderne Liebe dokumentiert. Sie findet in Briefen und literarischen Dokumenten die Einstellung, das unmittelbar Gefühlte durch sozialen Zwang zu ersetzen. Zwar liebten die Menschen auch vor Tinder, jedoch ohne den Zuspruch der Umgebung für ihr “Desiderium” haben sie die gefühlte Liebe umgedeutet, selbst wenn ihr “Herz” ihnen etwas Eindeutiges diktierte. Hatten sie dagegen den sozialen Zuspruch nicht, dann haben sie sich etwas Außergewöhnliches und Großes vorgegaukelt, selbst wenn das “Herz” nichts diktierte. Trotz Illouz’ futuristischer Ängste sind solche Jane-Austen-und-Geschwister-Brontë-Situationen immer noch sehr präsent. Ein meiner Meinung nach einfältiger und engstirniger Spruch Theodor Storms lautet bekanntlich “Die Liebe, die Liebe, welch lieblicher Dunst; doch in der Ehe, da steckt die Kunst” – ein Klassiker in Hochzeitsalben. Ich finde Storms Spruch eine Bagatellisierung der Liebe zugunsten der Pflicht. Brontëmäßig. Sie waren ja Zeitgenossen, Charlotte Brontë und Theodor Storm. Ich finde den Spruch anstößig. Eine beiläufige Bekanntschaft wollte mir unlängst die Pointe erklären, damit ich’s ja endlich kapiere, und benutzte die Worte: “Das warme Feuer muss dem kalten Feuer weichen”. Es wäre schön, wenn mit einer Entscheidung wenigstens solche Barbarei aus dem Sinn wäre, die den Menschen mit einem leichtfertigen Strich allen Individualismus seit frühestens Archilochos und Sappho in der Archaik, spätestens seit Heloisa und Archipoeta im 12. Jahrhundert abspricht. Die Sprache ist auch schuld. Sie lässt sich für jede Art von Oxymora und Moria biegen, sogar für ein Encomium dafür… Venus numquam in cordibus habitat ignavis, schrieb Archipoeta. Sie scheint tatsächlich nicht in unwürdigen Herzen zu wohnen.
An Adamantios Koraës (wieder Umlaut über dem “e” und wieder die achtzehnte Jahrhundertwende) erinnern mich Illouz’ Dokumente der vormodernen negativen Gefühle: Koraës wird eine junge Frau vorgestellt, Landsmännin, hübsch usw., die Eltern wollen, dass er endlich mit diesem dubiosen revolutionären Publizieren in Frankreich aufhört und nach Izmir zurückkehrt, eine Arztpraxis dort aufmacht. Endlich, das Normale tun, mein Sohn! (OK, das war polemisch, das sehe ich ein). Zwischenbericht Koraës in seiner Autobiografie: “Sie entstammte der besten Familie Smyrnas! Wie konnte ich mich nicht verlieben?”
Intelligenten Menschen fällt es wohl leicht, der Heuchelei den Rücken zu kehren, selbst wenn sie die Sprache falsch verwenden. Koraës starb 1833 in Paris als überzeugter Junggeselle.
Eva Illouz schrieb eine gute und lange Analyse der Lieblosigkeit sexueller Beziehungen. Aber ich denke, dass ihre Diagnose falsch ist. Den Eros, einen antiken Kindergott, tötete nicht das 18. Jahrhundert, sondern ihn tötete, wie die Beispiele von Storm, Brontë, Austen, Koraës zeigen, das Bürgertum.
Bekanntlich wurde das Bürgertum nach einer schwierigen Kindheit am Ende des Mittelalters erwachsen. Als eine Art Pathologin muss Illouz den Zeitpunkt des Todes entsprechend verorten. Illouz’ Schreckgespenster wie Gelegenheitssex und zermürbende Freiheit sind den Verwandten des Toten zuzuschreiben, welche die Todesnachricht nicht glauben wollen.
Das Zitat von Koraës muss ich ausfindig machen und Frau Professor Illouz senden. Es wird sie interessieren.
Enough with scrolling
I read lately The End of Love by Eva Illouz. Illouz’s analysis of a new love culture, one that destroys romance and leaves people devastated, is a piece of axiologically non-neutral sociology. Dating apps, speed dating, sexual volatility are Illouz’s horrors
I’d be the last to hail the new love culture if I were shown that it exits. What I see, however, is old-fashioned matchmaking by digital means. A bit more vivid, it’s true, but the idea remains the same. Despite my scepticism towards her main thesis that there is a modern love culture, I remain an interested reader of Illouz’s book. The documents by which she exemplifies premodern “negative relationships”, correspondence and literature, are the real horrors. They show people prohibiting themselves to love because of failing social approval for their feelings; people trying to persuade themselves that they love, because social approval is openly expressed.
Jane-Austen-and-Brontë-sisters situations are still the case. Like in a parallel to Charlotte Brontë’s Rochester and Bertha (a kind of: passion is not guaranteeing happiness, duty does), her contemporary German novelist and poet Theodor Storm wrote: “Oh love, oh, love is such a lovely haze, marriage however is the art that pays”. Storm’s saying is still very popular as a motto in wedding albums. I find it offending. An accidental acquaintance – it was two years ago – tried to make me finally grasp the deep meaning and stated: “The hot fire has to give way to a cold fire”. It would be beautiful, beautiful to be able to erase from memory barbaric aphorisms of ignorants. I mean words to the effect of saying: “Well, I just decided that individualism, celebrated by Archilochus and Sappho at the earliest, Heloisa and Archipoeta at the latest, is crap”. Hot fire, cold fire… I blame language to be as patient as to give rise to oxymoronic and other moronic stuff… Venus numquam in cordibus habitat ignavis wrote Archipoeta, and she seems indeed not to live in dishonourable hearts.
Around the eighteenth turn of century again, Adamantios Koraës (two dots again above the letter “e”) wrote about the attempts of mom and dad to make him return back to town, settle down as a medical doctor, give up revolutionary publishing in France. The girl enters the room and the intellectual summarises: “She was born to the best family of my hometown Smyrna! How could I not fall in love with her?”
Intelligent people obviously do find a way finally to turn their back to hypocrisy even if they have happened to commit ridiculous category mistakes. In 1833 Koraës dies a bachelor in Paris.
Eva Illouz wrote a good and long analysis of lovelessness in sexual encounters. I think, however, that her diagnosis is false. Eros, an ancient child god, wasn’t murdered by the 18th or any other century. He was killed by the bourgeoisie. Brontë, Austen, Koraës, Storm: you need more names?
After a difficult childhood, the bourgeoisie reached the age of majority at the end of the Middle Ages. Illouz, a social coroner, should assume the time of Eros’s murdering at that time. Moreover, Illouz’s horrors, speed dating, hookups etc. are probably the members of the family of the dead who deny to face the terrible truth.
I have to find the Koraës quotation and to send it to professor Illouz. I bet she’ll be interested.
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