Faith, fate and courage, or: Phaedrus’s politics

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Die griechischen Parlamentswahlen rücken näher und Ich gehe nicht wählen. Leute, die nicht wählen gehen, sind oft Fatalisten. “Was soll’s? An meiner Stimme hängt es wohl nicht. Und wenn doch: keiner kann seinem Schicksal entgehen: Ich nicht, meine Freunde nicht, und dieses Land ist keine Ausnahme”.

Ich bin nicht so. Ich glaube zum Beispiel nicht ans Schicksal. Trotzdem gehe (oder fliege) ich nicht wählen. Ich muss zu Hause in Deutschland meinen Geschäften nachgehen. Leben ist natürlich das, was mit einem passiert, während man anderweitig beschäftigt ist. Ich kann darauf jetzt nicht eingehen, obwohl ich denke, dass es auch mit mir so ist.

Wenigstens lese ich über das Leben. Meine Literatur zu den griechischen Wahlen ist allerdings Platons Symposion. Phaidros sagt dort (OK, ich weiß: Phaidros ist dort blutjung und ganz grün hinter den Ohren, aber zuhören!), dass der Mut und die Selbstlosigkeit Tugenden sind, die durch Liebe zutage treten. Am mutigsten kämpft, wer zu der Zeit von Liebenden beobachtet wird. Alkestis stirbt für ihren Ehemann, Achill stirbt für Patroklos. Liebe ist mit Sicherheit eine Art Mut. Denn Liebe ist sich selbst zurücklassen. Politisches Handeln ist ähnlich, zum Beispiel wenn wir uns zurücklassen, um kollektive Zielsetzungen zu verwirklichen.

Wer glaubt, dass es ein Schicksal gibt, wird nie riskieren, ob als politischer Mensch, ob als Lebender, ob als Freund. Zum Riskieren und zum Lieben bedarf es des Mutes.

Hätte er an diesem Tag diesen Mut nicht gezeigt…

wäre Achill nach Griechenland gekommen und erst in hohem Alter gestorben…

sagt Phaidros. Thetis, die Mutter und Göttin, hat ihren Sohn nämlich gewarnt: Heute wirst du entweder für Patroklos sterben oder nach Hause gehen. Das ist das Schicksal, mein Sohn…

Glauben in die Gemeinsamkeit, in die Freunde, in die Liebe ist in einem Punkt Hassen: Der Begriff Schicksal muss jedenfalls gehasst werden.

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Elections in Greece approach, and I’m not participating. People who don’t participate do that because often they believe that there is something like fate and they can’t help: the country, the other, themselves. I don’t believe in fate. However I still don’t participate to the Greek general elections because I have to stay at home in Germany having other plans. Life is, the proverb says, what happened to you while you had other plans, but let’s not elaborate on this.

I do read about life. Well, my reading for the Greek general elections is Plato’s Symposium, where Phaedrus (I know, a naive lad but listen to him!), well Phaedrus says that courage and selflessness are virtues incited by love. Fighters fight best when they’re observed by those who love them. Alcestis dies for her husband, Achilles dies for Patroclus. Love is definitely courage. Love is leaving yourself behind. Political action too. Political action can be selfless and courageous when you leave yourself behind to meet collective needs.

People who believe that there is an unalterable fate do not take the risk to act – politically, lovingly… Towards the others: community, friends, lovers. They don’t take the risk out of lack of courage.

If Achilles didn’t have the courage on that day,

he would have returned to Greece and die only an old man…

says Phaedrus. Achilles had been warned by Thetis, mom and goddess: Today you’ll either die for Patroclus or return home. That’s fate, my son.

Having faith, in community, in a friend, in a lover, is to hate fate. That is faith…

Semantics rulez

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Es gibt keinen Ort mit mehr philosophischen Fehlzitaten als diese Adresse an der Athener Adrianou-Straße.

Es wäre ein argumentum ad hominem, ihnen nur aus dem Grund jeden Wert abzusprechen, falsch zugewiesen zu sein.

Wer nun daran interessiert ist, welche Lehre ich aus meinem letzten Besuch in meiner Geburtsstadt gezogen habe, muss auf Englisch weiterlesen.

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There is no place with so many philosophical misquotations like this address at the Adrianou Street of Athens.

At the same time, there is no way to declare them valueless for this reason alone, without committing an ad hominem. Pragmatics has to give way to semantics if you want to be a philosopher and not only a historian of philosophy.

And this is an intended pun seen a few weeks ago when I visited my mother. If there is no signal, what does the phrase “No signal” signal? Yes, semantics generates paradoxes. But it is always there. As long as language and communication exists, there is always a “sema”, a signal. Even if this professes to be the tomb of semantics.

The Greek word for tomb is also “sema”.

Leave them in peace, not in pieces…

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Bei einem Ausgang in meiner Soldatenzeit auf Rhodos stellte ich plötzlich fest, dass die Straße, wo ich mich gerade einfand, nach Platon benannt war.

Platon war nie auf Rhodos, was es in meinen Augen als einen albernen Nationalstolz erscheinen lässt, wenn er mit seinem Namen einen urbanen Raum schmückt, der vor lauter Johanniter- und Vittorio-Emmanuele-Architektur Ernst Jünger als Kulisse diente.

Ähnlich waren meine Gefühle bezüglich der Fichtestraße in Schwabing. Ich versuchte stets den Philosophen zu vergessen (übrigens bin ich der Übersetzer der Bestimmung des Menschen ins Griechische – fürwahr eine Jugendsünde) mit sehr guten Ergebnissen, denn heute denke ich stets an die dortige, vormals sehr günstige Tankstelle, selbst wenn der Name des Philosophen fällt.

Insgesamt hält es München sehr albern mit Philosophennamen. Kein Wunder eigentlich…

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I remember myself exploring downtown Rhodes ages ago, during my service in the army, and finding out that a street in the old town was named after Plato. Plato never visited Rhodes, so it is, I suppose, kind of a silly national pride to have Plato as a reference in an urban environment still marked by the presence of the Johannites and a Vittorio-Emmanuele architecture.

Similarly, Fichte Street in northern Munich marked for me a cheap gasoline station. I have tried not to think of the philosopher when the name is mentioned – with good results.

But also in cases where the philosopher was there, naming this or that after them sounds phoney because this naming presents an unlucky attempt to insinuate a (nonexistent) reflectivity. The photos above are from Munich.

Twelve pentagons

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Es gibt solche, die Pentagondodekaeder in der Natur faszinierend finden, weil Platon in Timaios 55c dem Universum ihre Form zuschreibt.

Es gibt wiederum welche, die eine Annäherung geometrischer Regelmäßigkeit in der Natur unabhängig davon faszinierend finden, vor allem weil Formalistenpedanterie: “Ach was, der Definition entsprechen sie genauso wenig wie alles andere” bei ihnen nicht so leicht über die Lippen kommt. S.C. Kleene hatte in seiner Einführung in die Metamathematik Recht, die Platoniker, die Intuitionisten und die Formalisten als drei verschiedene Mathematikergeschlechter zu erachten. Im Gegensatz zum Platonismus ist der Formalismus nicht von dieser Welt.

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There are people who like the pentagonal dodecahedra because of Plato’s reference to them as the shape of the universe in Timaeus 55c.

Found in nature, they are fascinating anyway because every formalist would find it didactically difficult to say that they hardly match the definition. In his Introduction to Metamathematics, Stephen Cole Kleene distinguished between formalists, intuitionists and Platonists as three different mathematical nations. Garnets show that he was right. Formalists are alien to this world. Platonics are not.

Maths imitates nature

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Der Konstruktivismus geht davon aus, dass wir mathematische Gegenstände konstruieren, indem wir Merkmale der Anschauung abziehen – etwa kleine Fransen, Unebenheiten… Der Platonismus dagegen sieht in den mesoskopischen Gegenständen hinzugefügte Merkmale – etwa Fransen und Unebenheiten – von wahrgenommenen mathematischen Gegenständen. Entgegen dem Mainstream, der lehrt, der Konstruktivismus sei eine Form des Formalismus, der Platonismus dagegen eine Form des Logizismus, sehe ich immer mehr Ähnlichkeiten zwischen Konstruktivismus und Platonismus. Denn, was heißt hier “dagegen”? Beide, Konstruktivismus und Platonismus, sind metaphysische Positionen, die von Dingen sprechen. Dagegen – hier zu Recht so – spricht der echte Formalist nicht von Gegenständen, sondern von Beschreibungen.

Ein Schneesturm bei starkem Westwind über Mittelschwaben oder sonstwo kann Beeindruckendes in puncto Philosophie und Didaktik der Mathematik zeigen.

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Constructivism assumes that we construct mathematical objects taking away characteristics of perception: irregularities, bumps… In contrast, Platonism sees in mesoscopic objects nothing but mathematical objects with some perceived extras like irregularities and bumps. Despite heavy contrast there are more similarities between these two metaphysical views than one might think. The mainstream view is that constructivism is a school of formalism and Platonism a school of logicism. I do not share this view. Like Platonism, constructivism assumes that mathematical objects are real while formalism proper would rather speak of descriptions than of objects.

It is remarkable what a snowstorm and strong winds in Middle Swabia or somewhere else can demonstrate in the philosophy and didactics of mathematics.

Fake facts

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Es gibt eine nicht sofort ins Auge springende Gemeinsamkeit zwischen den drei Gemälden, d.h.:

Raffael Sanzios Schule von Athen (1511, Stanza della Segnatura, Vatikan);

Mikhail Nesterovs Philosophen (1917, Tretjakov-Gallerie, Moskau);

Johannes Grützkes Böcklin, Bachofen, Burckhardt und Nietzsche auf der Mittleren Brücke in Basel (1970, Kunstmuseum Basel).

Sie stellen Begegnungen dar, die in der abgebildeten Form nicht stattfanden. Gleichzeitig Begegnungen, die im übertragenen Sinn genau so stattfanden. Platon und Aristoteles unterschieden sich darin, ob die Allgemeinbegriffe von oben kommen, oder ob sie konventionelle Abstraktionen des Gegebenen darstellen. Aber nebeneinander argumentierend – Raffael säumt sie sogar mit einer anachronistischen Schar von Akademikern und Peripatetikern in einer römischen Halle, die vom technischen her nur in der Spätantike, vom ästhetischen her nur in der Renaissance möglich wäre – waren sie nicht zu sehen.

Sergej Bulgakov und Pavel Florenskij, die von Nesterov abgebildeten Philosophen, waren im Silbernen Zeitalter Mitstreiter im nichttraditionalistischen Verständnis eines orthodoxen Glaubens, der mit den nomologischen sowie den Sozialwissenschaften im Gespräch bleibt. Später sollten sie Dissidenten des Sowjetregimes werden. Aber nicht im Wald unterwegs waren die zwei Freunde an dem Maitag des Jahres 1917, sondern in Florenskijs Garten.

Bachofens Mutterrecht, Nietzsches Kulturkritik, Burckhardts Betonung der Kulturgeschichte für die Zeitgeschichte und aller drei Antimodernismus passen zueinander unabhängig von ihrem Zusammenfallen im Basel der 1870er Jahre. Die Vogel-Gryff-Prozessions-Pose lässt eine Nähe vermuten, die allerdings nur in ihrer Korrespondenz und in ihren Schriften spürbar wird.

Fotos sind nicht Gemälde. Sie bilden nur stattgefundene Begegnungen ab, so z.B. die vieldokumentierten zwischen Einstein und Gödel an der Princeton Uni. Allerdings sind beide Theorien, die Relativitätstheorie und die Unvollständigkeit von formalen Sprachen, kein bisschen einander näher gekommen dadurch. Wenn man mich fragt, welches der Bilder oben oder unten am meisten “Fake” ist, würde ich sagen: das Foto.

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The three paintings of this post have something very interesting in common. Especially juxtaposed to the photograph.

The first painting is Raffael Sanzio’s School of Athens (1511, Stanza della Segnatura, Vatican).

The second is Mikhail Nesterov’s Philosophers (1917, Tretyakov-Gallery, Moscow).

The third is Johannes Grützke’s Böcklin, Bachofen, Burckhardt and Nietzsche on the Middle Bridge in Basel (1970, Kunstmuseum Basel).

They represent encounters that, factually, never took place. At least not in this form. Encounters, at the same time, that did take place in an ideal form. Plato and Aristotle did have a dispute on whether universals were real entities from above, at least in a sense of “above”, or conventional abstractions. But Raffael depicts the disputants anachronistically surrounded by all possible academics and peripatetics in an architectonical environment that was technically possible only in late antiquity and aesthetically desirable only in the Renaissance.

Sergei Bulgakov and Pavel Florensky, Nesterov’s figures in the countryside, were encouraging each other with their life and work. Both were champions of a new reading of Eastern Orthodoxy and scientists: the former an economist, the latter a mathematician. The former managed to be admired by Lenin before writing books on a religious understanding of national economy and fleeing the USSR already ordained a priest. Lenin expressed his disappointment about Bulgakov’s conversion in a series of malicious comments found in his letters to his sister and his mother. Florensky managed to be powered by Trotsky as an expert in electromagnetism for the Soviet state electrification company to always go to his office in a cassock similar to the one in the painting, to write books on mysticism and contradiction, finally to be eliminated under Stalin’s terror regime. Back in May 1917, the two friends had met – together with the painter – in Florensky’s garden near Moscow, not in the countryside.

Bachofen’s matriarchy hypothesis, Nietzsche’s Kulturkritik, Burckhardt’s emphasis of culture in history and the entire triad’s hostility to modernity would fit together also if the three of them hadn’t coincided in Basel in the 1870s. They were probably never seen all together on the old bridge in the depicted way – but they can be read in that way.

Photographs are not paintings. They only depict real events, e.g. Einstein’s well documented walks with Gödel at the Princeton campus. These walks never brought relativity and incompleteness together, the two core concepts of the most famous theories of the two giants. If you ask me which of the four pictures above is the most fake of all, I’d say the photograph.

Wine and drugs and Aristotle

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Von Platons Symposion bis Roger Scrutons Ich trinke, also bin ich legt die Philosophiegeschichte eine Zuneigung zum Wein an den Tag. Das mag zu erwarten sein. Die Philosophie nahm ihren Anfang in Athen und Athen ist ohne Wein undenkbar. Mein euböischer Opa – wohl kein direkter Nachfahre athenischer Kolonisten auf der Insel, aber immerhin ein Abkömmling venetokretischer Siedler – war auf seinen Wein sehr stolz. Die Hauptsorte für Opas Wein war die attischte aller Traubensorten: Savvatianó. Savvatianó mussten zwei Jahrzehnte nach Großvaters Tod auch die Weinreben sein, die mein Vater auf dem Vorhof der Markopulo-Fabrik pflanzen ließ. Die Kunststofffabrik mit Savatianó-Trauben auf dem Vorhof inmitten einer riesigen Ebene voller Savvatianó-Pflanzen – Markopulo ist Attikas Weingegend par excellence – war ein Ort, wo im September die Kunststoffproduktion nicht im Vordergrund stand.

Anders als Kunststoff, war die Ideenproduktion, wie ich schnell in meiner akademischen Laufbahn entdeckte, mit Wein besser vereinbar. Die Oberseminare von Theophilos Veikos, einem Marxisten, an der Uni Athen gingen stets in einer Taverne in Kaisariani zu Ende. Die dortigen Gespräche übertrafen um Einiges den offiziellen Teil an Qualität. In München war es bei Andreas Kemmerling nicht anders: Das Oberseminar wurde jede Woche bei Mario – “Gargiulo – siziliano” – fortgesetzt, für die letzte Sitzung des Semesters kamen die Weine in die Ludwigstraße 31 herein und wurden während der Sitzung aufgemacht. Gewissermaßen auf die Fortsetzung der schönen Sitte stößt, wer das Institut für den letzten Gastvortrag vor Weihnachten besucht.

Wer der Droge Alkohol nicht abgeneigt ist, kann doch keine Argumente gegen andere Drogen haben, oder? Wenigstens nicht gegen alle! So kann man wohl vermuten.

Weit verfehlt. Den Konsum von sämtlichen Drogen verurteile ich aufs Schärfste. Außer von Alkohol. Das ist zum Teil kulturell, nehme ich an. Wein hat in meinem Hinterkopf mit Philosoph, Poet, Liebhaber zu tun; mit Platon, Athenaeus, Jesus. Mit etwas jedenfalls zwischen Athen und Jerusalem. Cannabis dagegen, geschweige denn Opiate, assoziiere ich mit Rembetes aus Afyon (der Name bedeutet im Türkischen “Opium”) bestenfalls mit Thomas De Quincey. Der literaturgeschichtliche Unterschied ist nicht klein.

Ein tiefer gehendes Argument habe ich auch. Ich habe es bereits angedeutet: Beim Weintrinken kann man weiterhin geregelt, diszipliniert und mit einem aristotelischen Erkenntnisethos diskutieren – sogar geistig präsenter und geistreicher als vorher. Nüchterner fast, insbesondere wenn man nach altgriechischer bzw. modernserbischer oder -kroatischer Art trinkt: gewässert. Erst nach dem dritten oder vierten Glas wird es etwas schwieriger mit der Logik. Cannabis macht den Geist dagegen von Anfang an stumpf.

Ende eines März war’s. Beginnender Frühling in Langadas in Nordgriechenland. Mariä Verkündigung, Kasernenausschmückung mit Bildern von Helden des Unabhängigkeitskrieges in Fustanella und gewaltigen Schnurbärten und große Militärparade in Saloniki. Immer, wenn die Offiziere weg waren, blieb eine ganze Menge Arbeit für mich. An dem Tag musste ich eine Liste der noch verbleibenden Urlaubstage pro Kompanie erstellen und nebenher die Taugenixe der eigenen Kompanie im Auge behalten, die keine Vorzeigeexemplare für die Parade und ergo in der Kaserne geblieben waren. Es klingelt das Telefon:

– Baretti-Kaserne, Bereich S1.

– Ja, Gerogiorgakis, mein Junge, ich bin’s.

– Herr Kommandant, zu Befehl (man muss das mit einer Mischung aus Langeweile, Müdigkeit und doch einer gewissen Ehrfurcht aussprechen – nicht zu großer Ehrfurcht, sonst ist es kitschig).

– Jaaaa, es war schön; sehr schön… Jedenfalls bin ich mit dem General da, der wiederum mit dem Minister lange geplaudert hat… (eine lange Pause, etwas Unangenehmes will er mir sagen) Du, in so vierzig Minuten sind wir zu dritt da, du weißt, der General hat mich dem Minister vorgestellt wegen vorbildliche Einheit bla-bla-bla. Guck, dass ich das Gesicht nicht verliere. Saubere Klos, keine Pornohefte unter den Matratzen, das Übliche. Nicht zu viel. … Wart’ mal, wieso bist du im Büro? Solltest du nicht in deiner Kompanie sein? Egel, also, Gero (das heißt gleichzeitig “Alter” auf Griechisch), vierzig Minuten, OK?

Die Kompanie! Den ganzen Tag hatte ich natürlich im Büro zu tun… Ich brachte die zweihundert Meter hinter mich, um sofort festzustellen, dass die Rosensträucher nicht begossen waren. Der Stubendienst hockte in der Vorhalle.

– Warum bist du hier und nicht drinnen?

– Ich gucke nach den Waffen.

– Quatsch! Ausgerechnet du.

Skoulas nannte niemand nach seinem Nachnamen. Man nannte ihn “den Pianisten”, weil er einer war. Sein Bezug zu seiner G3 war sehr kritisch. Das Ding war an Stellen verrostet, der Besitzer hatte keine Ahnung oder keine Lust, das in Ordnung zu bringen. In den Schießübungen hieß es, auch hinter ihm sei es unsicher…

Erst recht vor ihm. Ob in den Schießübungen oder beim Aufmachen der Tür in die Stube. Der Qualm war dickflüssig.

Ich machte die Fenster auf. Schlaffe Gesichter ließen meine Schimpfkanonade über sich prasseln. Ich wurde laut und lauter, selbst lauter als es in der Infanterie Usus ist. Ich nahm viel Luft in meine Sängerlungen auf und ließ voller Entsetzen mein ganzes Volumen den Raum füllen, meine Enttäuschung kundgebend. Aber es war zwecklos. Zombies wären präsenter. Ich ging raus. Wenigstens die Rosen begießen. Ich nahm den Schlauch – das weiß ich noch.

Plötzlich stand Skoulas neben mir: “Feldwebel, lass jemanden die Rosen gießen, der nicht bekifft aussieht. Und überhaupt, die Rosen, nicht das Pflaster”. Ich überließ ihm die Rosen und ging unter die Dusche.

Aus diesem kleinen Abenteuer (meiner einzigen Berührung mit Cannabis) weiß ich: Wenn die geistige Präsenz präferiert werden soll, dann ist etwas Wein ein Segen. Denn die Logik ist ein Agon und Wein macht tapfer. Die kleinste Menge jeder anderen Droge dagegen ist chemischer Epikureismus.

Der Minister und seine Gefolgschaft ließen sich an dem Tag nicht blicken. Gott sei Dank war irgendwas in diesen vierzig Minuten dazwischen gekommen.

Jedenfalls hat sie niemand registriert.

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From Plato’s Symposium to Roger Scruton’s I Drink therefore I Am, the history of philosophy bears witness of oenophilia. Since philosophy, the discipline and the life form, began in Athens and Athens is unthinkable without wine, this is to be expected. My Euboean grandfather, no direct descendant of Athenian colonists, nevertheless one of Venetocretan settlers on the island, much appreciated the Attica variety savvatianó for his grape mixture – Greeks love wine made of various varieties. Savvatianó had to be the variety my father cultivated two decades after grandpa’s death in the yard of his plastics factory. It was in between the biggest savvatianó monoculture of the universe – almost a reason to be happy there was a factory there. September though was a month in which producing polyethylene tupperware wasn’t the main task of my father’s workers.

Unlike plastics, ideas were easier to produce while engaged in wine production or consumption. Theophilos Veikos’s, a Marxist’s, master class at the UoA always continued discussion in a tavern in Kaisariani. Andreas Kemmerling’s candidates’ seminar at the LMU continued at Mario’s pizzeria – the guy came from Sicily and his surname was Gargiulo, which sounded at least as exotic as “gavagai”, alright… For the last session of the term we didn’t have to go to Mario since the wine was delivered in the classroom to be consumed there during the session. The custom is still alive and one can participate to a softer version of it (less stuff to drink, more to eat) by simply visiting the last invited lecture of the institute before Christmas.

People affirming some consumption of alcohol cannot be totally negative towards other drugs – one may think. Finally, they’re all drugs, isn’t it?

I must say, this is the way it is. They’re all drugs. But I have two arguments to underline my claim that alcohol is philosophically kosher whereas anything else is not. The first is cultural, historical. The second is, let’s say, deeper.

I happen to associate wine with the properties of being a philosopher, a poet, a lover. In other words with Plato, Athenaeus, Jesus. Anyway, something between Athens and Jerusalem. But I associate cannabis, let alone opiates with rembetes from Afyon (the word means opium) in Athens in the 30s. Thomas De Quincey would be a more literary association but the level doesn’t get much higher than that.

I have one more argument against drugs, despite my plea against abstinence.

When you drink wine you remain in a sense sober for the first two or three glasses, let alone when you drink it the ancient Greek or the modern Serbian or Croatian way, i.e. watered. And it’s only after this level that you get problems in applying rules of Aristotelian syllogistic. With drugs other than wine you say farewell to conversation and its rules from the very beginning.

It was the beginning of the spring, the day of Annunciation, the commemoration of the revolution. The barracks were empty. Tall guys and those who had nothing very important to do participated to the big military parade in Thessaloniki. Weirdos and workaholics had remained back.

On this day I had to make a list of days off but not taken yet. And, of course, I had to keep an eye on the ones who had remained. I was concentrated to the former task when the phone rang.

– Baretti-Barracks, S1.

– Yes, Gerogiorgakis, my boy, it’s me.

– At your orders commander (when you say this, it must be with a mixture of respect and habit as to not sound an old-fashioned, too-many-movies guy).

– Well, it was beautiful like always, you missed something, I’m telling you. Ah, what I wanted to tell you is, well … I’m here with the general who’s been talking with the minister. OK? So, the general introduced me, “what an extraordinarily performing unit” and stuff, you get the point, isn’t it? In forty minutes we’ll be with you because the minister expressed the wish to visit an “extraordinarily performing unit” on an off-duty day. Take care that nothing embarrassing comes up. So, Gero (this means “old man” and this is how he abbreviated my surname when he wanted to show he trusted me), I leave it to you. Clean toilets, no porn under the matrasses, no rifles around. Not too much – usual stuff. By the way, why do I find you at the office and not with the platoon? Anyway, till later.

The platoon… I walked the couple of hundred yards to them. They hadn’t watered the roses in the morning, I immediately noticed. The attendant was in the foyer.

– Why are you sitting here? Why aren’t you with the others?

– Checking the rifles.

– Are you kidding me?

Skoulas hated rifles. His own was rusty, his interest for this competed with his inability to use the weapon and it was said that in shootings you weren’t secure even behind him. We called him “the pianist” because he was one.

I opened the door to “the others”. The smoke was like a heavy-metal band stage show. Zombies who had to be my platoon looked at me with a mixture of apathy and antipathy. I started to give the information, upset, frustrated, struggling for fresh air of which this room provided little. I opened the window and went out to water the roses. Suddenly, Skoulas stood next to me and requested to water the flowers himself. Apparently, I didn’t happen to pour water on the soil but on the pavement instead. I went for a shower.

No, you can’t really say that I’ve tried cannabis. But this unpleasant story taught me that, unlike wine, cannabis makes one unable to make arguments – or to argue! Logic being a struggle, an agon, I think that philosophical culture correctly discriminates cannabis and hails wine.

The minister and the general and the commander didn’t drop by, by the way. At least nobody noticed them.

An silentium sit entium

English in italics, German recte.

Das ist die Art, wie manch ein Platoniker oder Logizist das berüchtigte “stumme” Musikstück 4’33” von John Cage ansieht:

This was a Platonist’s or logicist’s way to understand what the rules or the instructions for John Cage’s 4’33” are.

Es folgt das Verständnis eines Konstruktivisten vom demselben Stück.

And here’s an intuitionist’s understanding of the same piece of music, which might seem kind of poor, of course:

Unser Konstruktivist machte die Augen zu und spielte eben 4 Minuten und 33 Sekunden lang keine Musik… Damit erkannte er in Cages Stück nichts, was musikalisch zu verstehen wäre. Das ist vielleicht spießig.

Aber wenigstens werden sich zwei Konstruktivisten anders als Platoniker oder Logizisten nie streiten, ob die hier ganz oben oder eher die nachfolgende Partitur akkurater ist:

But intuitionists would at least not run danger to fight whether the first or the last sheet would give the real structure of the piece. Logicists and Platonists are famous for their accounts about the properties of nonbeing.

Which is of course much more reflected. And more of an issue.

Platoniker und Logizisten sind eben reflektierter als Konstruktivisten. Und streitbarer auch.

ΜΟΥΣΙΚΗΝ ΠΟΙΕΙ ΚΑΙ ΕΡΓΑΖΟΥ

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Deutsch unmittelbar nach dieser zentralgriechischen Landschaft


Das Zitat im Titel war der Ratschlag einer Stimme in Sokrates’ Traum in Platons Dialog Phaidon. Im Neugriechischen klingt es nach einer rhodisch oder zypriotisch angehauchten Aufforderung zu musizieren und zu arbeiten. Und gerade diese beiden Sachen sind schwer aus der Zeitmaschine heraus, in der ich seit letztem Donnerstag verweile, als ich meinen Vater verlor.

Vor allem schweben mir Sachen vor, die mir früher als machbar vorschwebten. Was für eine Naivität verbirgt doch der Blick auf unsere Vergangenheit! Wie enttäuschend es ist zu wissen, man habe “möglich” mit “machbar” verwechselt!

Ein Sinn fürs Neugriechische ist sehr oft irreführend, wenn der Kontext ein altgriechischer ist. Besser wäre der Rat der Stimme in Sokrates’ schlafenden Ohren so zu verstehen:

Mach die Werke der Musen und strenge dich dabei an. 

Das erscheint wiederum machbar.


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The phrase quoted in the title was the advice of the voice in Socrates’ dream according to Plato’s Phaedon. In Modern Greek, the phrase sounds like a (rather Cypriot or Rhodian) way to say: “Play the music and do your job”. But it is difficult to play music or do a job if your mind is in a time machine and rethinks grief, hopes, disappointment and old elaborate plans that seemed possible back then.

However, one’s feeling of modern Greek is a bad advisor if the phrase to translate is in Classical Greek. The voice said rather something to be properly understood as: “Do what the Muses stand for and take pains to do so”.

And this is something that can be done even in the time machine I got in after last Thursday when I lost my father.

37° 51′ 30″ N, 23° 48′ 6″ E or: At the edge of Plato’s cave

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Wie jeder Leser von John Henry Wrights uraltem Artikel “The Origin of Plato’s Cave” (Harvard Studies in Classical Philology, 17 (1906): 131-142) weiß ich seit meiner Studentenzeit, dass viele Forscher die Höhle, welche die Szenerie des legendären Gleichnisses zu Beginn des Buches VII von Platons Republik bildet, an einer Stelle orten, die ein paar Kilometer von meinem Athener Zuhause entfernt liegt. Generationen von philosophischen Philologen haben seit der Ausgrabung der Stelle Anfang des 20. Jahrhunderts Wrights Vermutung beherzigt und propagiert.

Besucht hatte ich die Gegend oft, ohne jemals über die Höhle zu stolpern. In einem Sinn war das jetzt ein Kategorienfehler: Über eine Höhle kann man nicht stolpern und gerade von dieser Höhle kann man nur verschluckt werden – mit wahrscheinlich fatalen Folgen. Es handelt sich um ein Loch, das, an kleinen Felsvorsprüngen vorbei, zunächst einmal zehn Meter tief in die Erde führt.

Unabhängig vom Kategorienfehler ist der Wanderweg zur Höhle nicht ausgeschildert. Interessiert daran, die Höhle zu finden, war ich darüber hinaus nie. Bei Platon gehe es ja nicht um echte geknebelte Menschen unter einem Felsvorsprung einer echten Höhle, sondern um ein Gleichnis: Gleichsam Höhlenbewohnern sollen wir Menschen in unseren Meinungen gefangen sein, sollen Schatten für echte Ware und für wahre Menschen halten. Auf eine echte Höhle, die Platon im Sinn gehabt haben soll, komme es nicht an.

Aber die Jahre vergehen und die Wanderungen meiner Familienangehörigen, die immer noch in der geschichtsträchtigen Gegend wohnen, werden mehr. Die Folge: Sie entdeckten die von mir lang verschmähte Höhle und wollten sie mit mir besuchen.

Mein Resultat aus der Ortsbegehung: Wären gefesselte Leute da unten gewesen, hätten sie mich nur als Schatten wahrgenommen, aber keine Chance gehabt, mich selber, mein Original, zu sehen. Platon hat das Augenmerk auf die Höhleninsassen gelenkt, diese Ignoranten, die bequemlichkeitshalber die Schatten dem Wahren vorziehen. Für ein paar Sekunden wurde ich dagegen das Wahre hinter dem Schatten. Etwas, was kein Schatten ist, bin ich ja auch dadurch, dass ich einen Schatten werfe.



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Since John Henry Wright’s stone-age paper  “The Origin of Plato’s Cave” (Harvard Studies in Classical Philology, 17 (1906): 131-142) many philosophical philologists or philological philosophers identify the cave described by Plato in the opening of Republic VII with a hole in the earth, a few miles from what is now my parents’ place – and has been my place as a teenager.

The spot had been excavated some five years before Wright published his paper. Wright appears to have visited the cave and to have descended into it – archaeologists had probably temporarily bridged a gap that makes now the attempt to reach the ancient stairs extremely risky. It’s rather a hole in the earth, tells us Wright, that goes seventy feet deep and served since pre-classical times as a sanctuary.

I know the area well, mostly from excursions with parents, then with friends. But since I’ve known that there is something like a Book Seven of Plato’s Republic and that this is the place Plato most likely had in mind for the legendary simile in Book Seven, I never looked for the cave and never stumbled upon it. And this is so not only because you can only vanish in this hole before you stumble upon anything. I also considered the existence of a cave that would correspond to Plato’s description irrelevant. I mean, Plato’s simile is not about the cave itself. It’s about prisoners in a cave that is located in a way that the prisoners can’t look out (they’re held below a part of the stone that protrudes over their heads) but can see the shadows of those who are out of the cave and prefer it this way. Once released they realise that the light outside the cave is uncomfortably dazzling. You don’t need the scenery to imagine the scene!

But members of my family discovered the cave by their own and they said I had to visit it with them. After all these years I became more sympathetic towards the so-called realia of literary criticism, I suppose…

And there it was! My shadow! If you had climbed down the cave (and had survived doing so – the place is slippery) you’d have been able to see my shadow but you’d have failed to see me.

It felt comfortable to know that I’m the real thing, not a shadow of myself and I’m wondering how it happens to feel the opposite sometimes.